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18.06.11 / Flaches Profil und weiche Botschaften / Ein Sammelband über die Frage »Was ist heute konservativ?«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-11 vom 18. Juni 2011

Flaches Profil und weiche Botschaften
Ein Sammelband über die Frage »Was ist heute konservativ?«

In der letzten Zeit gab es einige Debatten darüber, was denn heute als konservativ zu gelten habe. Mit diesem Thema setzt sich auch ein Sammelband auseinander, den der thüringische CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring herausgegeben hat. In seinem Vorwort macht Mohring deutlich, dass es für seine Partei fünf vor zwölf ist. Wahlergebnisse zeigten, dass enttäuschte CDU-Wähler heute nicht mehr automatisch bei der FDP landen und damit bürgerliche Mehrheiten sichern.

„Ein flaches Profil und weiche Botschaften haben nicht dazu geführt, mehr neue Wähler zu gewinnen als die CDU an anderer Stelle verloren hat“, schreibt Mohring. Konservatismus ist für Mohring weniger eine Ideologie als vielmehr ein Denkstil, „der auf unserem christlichen Menschenbild“ aufbaut.

Einen der besten Beiträge des Bandes hat der Historiker Andreas Rödder beigesteuert. Laut Rödder konnten sich Konservatismus und christliches Menschenbild so gut verbinden, weil es keine grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Menschenbildern gibt. Er schreibt sogar vom christlich-konservativen Menschenbild. Das heißt konkret: Der „Mensch ist nicht perfektionierbar – und das heißt ganz konkret: konservatives Denken richtet sich gegen alle Entwürfe eines ‚neuen Menschen‘ (und eines vervollkommneten Endzustandes).

Dies richtete sich im 20. Jahrhundert vor allem gegen die Rassenlehre des Nationalsozialismus und die Klassenlehre des Kommunismus bzw. Sozialismus. Diese Stoßrichtung ist in der heutigen politischen Debatte weniger relevant als in der bio-ethischen Debatte. Denn es ist die Gentechnik, die uns den ‚neuen Menschen‘ durch Eingriffe in das Erbgut verspricht. Auch hier ist die konservative Position ebenso klar wie konkret unbequem: der Mensch kann sich nicht anmaßen, zum Schöpfer zu werden – er darf es moralisch nicht, und er kann es auch praktisch nicht.“

Weil der Konservative aus Sicht Rödders dagegen ist, dass die Welt nach einem bestimmten Prinzip umgestaltet werden soll, wird er sich gegen den Flächenabriss von Altstädten zugunsten der „autogerechten Stadt“, gegen die Einführung der Gesamtschule als Regelschule, gegen die Tötung Behinderter als „lebensunwertes Leben“ aussprechen usw. Es ist also gar nicht so schwierig, ganz konkret und ohne Abstraktion zu sagen, wie konservatives Denken und Handeln im 21. Jahrhundert aussehen kann. Mit Wohlwollen liest man auch die Absage des Geisteswissenschaftlers an den Zahlenfetischismus in der Pisa-Debatte oder auch in der Diskussion über Schule, Kinder und Jugendliche. Sind 35 Prozent Krippenplätze wirklich besser als 20 Prozent, brauchen wir eine Studierendenquote von 40 Prozent, müssen überall Frauen zu 50 Prozent repräsentiert sein? Heutzutage wagt zumindest niemand mehr in der Politik, gegen diesen Unfug anzugehen.

Es fehlt den Deutschen oft an einem Sinn für Maß und Mitte. Sie lassen sich durch irgendwelche internationalen Vergleichstest sofort in Hysterie versetzen. Leider haben sich mittlerweile auch Konservative zum Beispiel in den Bereichen Bildung und Familienpolitik dem ganzen faulen Zauber um Zahlen, Ranking-Plätze und Modelle hingegeben. Dass insbesondere CDU-Politikerinnen und Politiker bei der Verunglimpfung des Betreuungsgeldes als „Herdprämie“ mitgemacht haben, ist von ganz besonderer Perfidie. Es überrascht nicht, dass Ursula von der Leyen in ihrer Zeit als Familienministerin kundtat, es gäbe keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen christdemokratischer und sozialdemokratischer Familienpolitik.

Konservatives Denken ist nach Ansicht des Verfassers in der Krise. Der Sozialstaat ist auf dem Vormarsch. Freiheit wird den Bürgern nicht mehr zugemutet und zugetraut. Es besteht kein gesellschaftliches Übereinkommen mehr über das, was man für falsch und richtig hält. Die Krise des konservativen Denkens hat auch die CDU erreicht. In ihr sind die Konservativen die neuen Heimatvertriebenen. „Die CDU hat sich vor einigen Jahren bereits den Begriff abhandeln lassen, als ihr Fraktionsvorsitzender im Bundestag – eigentlich ein liberaler Konservativer – sagte, die CDU sei keine konservative Partei. Und verloren gegangen ist nicht nur der Begriff“, so Rödder.

Rödders Beitrag wird am ehesten dem Anspruch des Sammelbandes gerecht, der Frage nachzugehen, was Konservativsein heute bedeutet. Ein Großteil der Beiträge fußt auf einer Veranstaltungsreihe der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, die der Frage „Was heißt heute konservativ?“ gewidmet war. Damit enthält der Sammelband laut Untertitel „Bausteine für einen modernen Konservatismus“ und trägt zu einer aktuellen Debatte bei. Diesem Anspruch wird er aber letztlich nicht gerecht, denn Reflexionen über den Staat, die Wirtschaftsordnung, die Familie, die Erinnerungskultur etc. haben manchmal nur begrenzt etwas mit der Fragestellung des Bandes zu tun. Ansgar Lange

Mike Mohring (Hg.): „Was heißt heute konservativ? Freiheit – Verantwortung – Ordnung. Bausteine für einen modernen Konservativismus“, Verlag Bussert & Stadeler, Quedlinburg 2010, 220 Seiten, broschiert, 19,90 Euro


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