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25.06.11 / Dokumente einer großen Liebe / Eine Biografie und Abschiedsbriefe erinnern an das Ehepaar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-11 vom 25. Juni 2011

Dokumente einer großen Liebe
Eine Biografie und Abschiedsbriefe erinnern an das Ehepaar von Moltke und sein Leben unter dem Nationalsozialismus

Am 29. März 2011 wäre Freya von Moltke, die Witwe des Widerstandskämpfers Helmuth James Graf von Moltke, 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erschien eine Biografie von Frauke Geyken mit dem Titel „Freya von Moltke – Ein Jahrhundertleben 1911–2010“, desgleichen der Briefband „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel – September 1944 – Januar 1945“. Die Herausgeber sind Helmuth Caspar von Moltke, der 1937 geborene ältere Sohn von Helmuth James und Freya, und seine Schwägerin Ulrike von Moltke geborene von Haeften.

Freya von Moltke starb am 1. Januar 2010 in Norwich, Vermont (USA). Wie andere Frauen der „Männer des Widerstands“ war sie Mitte der 80er-Jahre als Zeitzeugin an die Öffentlichkeit getreten. 1997 veröffentlichte sie ihre „Erinnerungen an Kreisau“. Freya wusste um das Handeln ihres Mannes als einzelner Widerstandskämpfer im Rahmen seiner Stellung als Sachverständiger im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht in Berlin. 1940 gründete er zusammen mit Peter Graf Yorck von Wartenburg eine Widerstandsgruppe, deren Treffpunkt sein Landgut Kreisau in Schlesien war. Die Mitglieder der unterschiedlich zusammengesetzten Gruppe berieten über gesellschaftspolitische Grundsätze für eine demokratische Nachkriegsordnung in Deutschland. Die meisten von ihnen bezahlten ihren Einsatz mit dem eigenen Leben. Als erster wurde Helmuth von Moltke im Januar 1944 verhaftet. Zunächst konnte man ihm nichts nachweisen, doch das änderte sich nach dem Attentat vom 20. Juli 1944. Am 11. Januar 1945 wurde Helmuth von Moltke im Prozess vor dem Volksgerichtshof von Roland Freisler wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Zwölf Tage später wurde er in Berlin-Plötzensee gehenkt.

Helmuth von Moltke liebte sein Familiengut Kreisau, er kannte dort jeden Winkel. Heute ist das auf polnischem Staatsgebiet liegende Gut in seinem Sinne eine international ausgerichtete Gedenkstätte für Widerstand und Opposition. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde der Kreisauer Gedanke einer europäischen Verständigung auf Wunsch deutscher und polnischer Politiker mit Leben erfüllt. Es erfolgte mittels der 1990 gegründeten „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“ eine Instandsetzung des verfallenen Gutshofs. 1998 konnte die Einweihung der Jugendbegegnungsstätte gefeiert werden. Freya von Moltke wirkte im Hintergrund mit. 2004 wurde die „Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“ ins Leben gerufen.

Freya entstammte der Kölner Bankiersfamilie Deichmann. Ihrem späteren Mann begegnete sie in Österreich. Moltke bekannte sich früh zu sozialen Zielen, die er nach Übernahme des in schwieriges Fahrwasser geratenen Gutes Kreisau 1935 auch umsetzte. Er entstammte einer traditionsreichen Adelsfamilie, war jedoch laut Geyken „unorthodox, nicht sehr preußisch“ erzogen worden. Seine Mutter war eine englischstämmige Südafrikanerin, der Vater engagierter Mitbegründer der „Christian Science“. Man unterhielt Kontakte zu einflussreichen englischen Familien. Geyken beschreibt Freya als eine durch und durch authentische Persönlichkeit, die bis zuletzt auch ihre jungen Gesprächspartner faszinierte. Privat fand sie ihr zweites Glück an der Seite des Philosophen Eugen Rosenstock-Huessey, dem sie 1960 nach Vermont folgte. Sie hatte lange gezögert, bevor sie der Göttinger Publizistin Frauke Geyken die Zusage zu einem Treffen erteilte, das der Vorbereitung einer Biografie hätte dienen sollen. Es sollte nicht mehr dazu kommen. Auf Einladung von Helmuth Caspar von Moltke und dessen Frau Keri reiste Geyken dennoch im Februar 2010 nach Montreal, um ihr Buch auf der Grundlage von Gesprächen sowie Recherchen in Privatarchiven in Norwich und Boston vorzubereiten.

In erstaunlich kurzer Zeit entstand die nun vorliegende, mit zahlreichen Fotos ausgestattete Biografie. Die facettenreiche und dennoch verhältnismäßig knapp gehaltene Schilderung dieses langen und sehr bewegten Lebens ist zweifellos eine große Leistung. Es galt, Freya auf allen Wegen zu folgen und die Menschen vorzustellen, die ihr wichtig waren. Inhaltlich recht dürftig ausgefallen ist ausgerechnet die Darstellung der Ereignisse von Januar 1944 bis Januar 1945.

Die Korrespondenz zwischen ihr und Helmuth James überließ Freya testamentarisch dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Bereits 1988 hatte die Historikerin Beate Ruhm von Oppen den Band „Briefe an Freya“ herausgegeben, der Helmuth von Moltkes Briefe an seine Frau von 1935 bis zu seiner Verhaftung enthält. Die sehr persönlichen Abschiedsbriefe des Ehepaares sollten jedoch erst nach Freyas Tod an die Öffentlichkeit gelangen.

Von Ende September 1944, als Moltke vom KZ Ravensbrück in das Strafgefängnis Tegel verlegt wurde, bis zum Tag der Hinrichtung schrieben sie sich täglich lange und innige Briefe, die vom Gefängnispfarrer Harald Poelchau unter Lebensgefahr getauscht und in die eigene Wohnung getragen wurden, wo Freya sie in Empfang nahm. Zwischenzeitlich brachte sie die Briefe nach Kreisau, wo sie in einem Bienenkorb aufbewahrt wurden.

Anfang 2010 begann die Vorbereitung der Herausgabe der letzten Briefe unter Hochdruck. Der nun vorliegende Band „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel“ ist Harald Poelchau und seiner Frau Dorothee gewidmet. Es sind ergreifende Dokumente einer großen Liebe, die vor Prozessbeginn noch von der Hoffnung auf ein Überleben durchdrungen sind. Zuletzt zählte nur noch der unbedingte Glaube des zum Tode Verurteilten. Die meisten Briefe schrieb Helmuth von Moltke mit gefesselten Händen. Beigefügt sind zwei Abschiedsbriefe an seine beiden jungen Söhne. Den Tod vor Augen, erklärte er ihnen die Beweggründe für sein kompromissloses Handeln angesichts des allgegenwärtigen Unrechts: „Seitdem der Nationalsozialismus zur Macht gekommen ist, habe ich mich bemüht, seine Folgen für seine Opfer zu mildern und einer Wandlung den Weg zu bereiten. Dazu hat mich mein Gewissen getrieben – und schließlich ist das eine Aufgabe für einen Mann.“ Dagmar Jestrzemski

Frauke Geyken: „Freya von Moltke – Ein Jahrhundertleben 1911–2010“, Verlag C. H. Beck, München 2011, 287 Seiten mit 71 Abbildungen und drei Stammtafeln, gebunden, 19,95 Euro

Helmuth James und Freya von Moltke: „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel – September 1944–Januar 1945“, Verlag C. H. Beck, München 2011, 608 Seiten, davon zirka 50 Seiten Anhang, gebunden, 29, 95 Euro


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