© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-11 vom 02. Juli 2011

Viel Luft nach oben
von Christian Rudolf

Ja, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind heute gut und sie sind besser als vor zwanzig Jahren. Beide Länder leben in einer Wertegemeinschaft zusammen, sind Teil des gleichen Staatenbundes, beide gehören demselben Militärbündnis an, die Grenze zwischen beiden Staaten kann ohne Passkontrollen überquert werden. Wer hätte all das kurz nach der Epochenschwelle 1990 für möglich gehalten. Warschau weiß, welchem Fürsprecher es seine schnelle Integration in die westlichen Strukturen zu verdanken hat.

Doch was jeder Hund beher­zigt: die Hand, die gibt, beißt man nicht, ist an Weichsel und Warthe unbekannt. Misstrauen ist angebracht gegenüber einem Partner in den europäischen Strukturen, der sich auch als demokratisch verfasstes Gemeinwesen hartnäckig über geltendes Europa- und Völkerrecht hinwegsetzt – wie in der Weigerung, für die in ihrer angestammten Heimat siedelnde deutsche Volksgruppe ein funktionierendes deutschsprachiges Bildungssystem aufzubauen, wie in der frechen Renitenz, kriegsbedingt nach Schlesien verlagerte deutsche Kulturgüter endlich zurückzugeben.

Während der Feiern zu 20 Jahren Nachbarschaftsvertrag wurden immer wieder die deutsch-französischen Beziehungen als Vorbild beschworen. Wohlan denn, da ist noch viel Luft nach oben. Die Zusammenarbeit mit Frankreich zeigt, wie gute Nachbarschaft aussehen kann: Paris hat seit der Wiedervereinigung 1990 umfangreiche Kulturgüter an Deutschland zurückgegeben: vor sieben Jahren zuletzt 25 Regalmeter historisch bedeutsame Archivbestände des Auswärtigen Amtes aus Kriegszeiten.