© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-11 vom 02. Juli 2011

Momentaufnahmen des Übergangs
In Ratingen wurde die Sonderausstellung »Struktur und Architektur« eröffnet

Ob es das Bild der Maschinenhalle aus der Heinitzgrube in Beuthen ist oder jenes der Schaltzentrale des Kraftwerkes in Hindenburg – die insgesamt 46 Fotografien von Thomas Voßbeck zeigen interessante Einblicke in eine vergangene Industrieepoche. Das Oberschlesische Landesmuseum von Ratingen-Hösel hat die Sonderausstellung „Struktur und Architektur. Das postindustrielle Kulturerbe Oberschlesiens“ mit einem multimedial gestalteten Programm eröffnet. Dem Vernissagepublikum wurde eine Film-Klangkomposition mit Arbeits- und Alltagsgeräuschen aus der oberschlesischen Montanregion geboten, die durch Filmsequenzen über Bergleute, Förderräder und brennende Schlacken ergänzt wurde. Im Mittelpunkt standen Aspekte der Montanarbeit, die als Bestandteil eines zu Ende gehenden Industriezeitalters dargestellt wurde.

Das Projekt „Struktur und Architektur“ wurde von der Berliner Initiative Europareportage und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa in Zusammenarbeit mit dem Schlesischen Museum Kattowitz realisiert. Ausstellungspartner sind neben dem Oberschlesischen Landesmuseum das Schlesische Museum in Görlitz, das LWL-Industriemuseum (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) und das Westfälische Landesmuseum für Industriekultur.

Wie auch das Ruhrgebiet, befindet sich die historische Region Oberschlesien in einem Prozess der großen Umstrukturierungen. Es gibt auch dort immer weniger Relikte, die an das Zeitalter der Schwerindustrie erinnern. Vor allem die Hütten- und Stahlindustrie erlebte einen spürbaren Niedergang. Die Fotografien von Thomas Voßbeck haben eine dokumentarische Bedeutung, da sie den Zustand des Übergangs zu einer neuen Etappe festhalten. Die Farbbilder zeigen Bergwerke, Kokereien, Hütten, Kraftwerke und Werke der Chemieindustrie, die seinerzeit das Landschaftsbild weitgehend prägten.

Heute sind sie teilweise verlassen oder befinden sich mitten in der Umgestaltung. Zu den aussagekräftigen Momentaufnahmen der noch vorhandenen Industriearchitektur aus der Zeit vor 1945 gehören Ansichten von der Kokerei „Carbo-Koks“ (ehemals Kokerei der Julienhütte, Kohlenmühle), von der Kompressorhalle der Grube „Wieczorek“ (ehemals Gieschegrube) und von der Rettungsstelle der Grube „Makoszowy“ (ehemals Delbrückschächte).

Beim Betrachten der Bilder fallen dem Besucher so manche Gemeinsamkeiten zum Ruhrgebiet auf. Dr. Stephan Kaiser, Direktor des Oberschlesischen Landesmuseums, schlägt auch einen anderen Bogen: „Ist auch die Ausrichtung dieser Fotoschau eine ganz andere als jene unserer aktuellen Ausstellung ‚Schlossgeschichten‘ zum Adel in Oberschlesien, so gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst annehmen mag. Die Fotos zeigen nämlich Anlagen vornehmlich aus preußischer Zeit, als der oberschlesische Adel, der einen großen Teil des Landes besaß, Träger der Industrie war.“

Die großformatigen Bildkompositionen sind auch aus künstlerischer Sicht interessant. Der Fotograf hat nicht nur die wichtigsten Gebäude einer Anlage fotografiert, sondern auch jene Architekturen miteinbezogen, die sich aufgrund ihrer besonderen Struktur hervorhoben.

Wer die Thematik der oberschlesischen Montanindustrie noch etwas vertiefen möchte, findet in der ausstellungsbegleitenden deutsch-polnischen Publikation reichlich Bild- und Infomaterial. Auch eine CD mit Klang-Collagen aus der Industriewelt ist erhältlich.

Während der gesamten Ausstellungsdauer – bis zum 21. August – sind in Ratingen nicht nur die Fotografien zu sehen, sondern auch akustische Impressionen wahrzunehmen. An mehreren Hörstationen werden Arbeits- und Alltagsgeräusche aus der oberschlesischen Montanwelt wiedergegeben. Dieter Göllner