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09.07.11 / Gender Mainstreaming: Nicht in die Falle tappen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Gastkommentar
Gender Mainstreaming: Nicht in die Falle tappen
von Barbara Rosenkranz

Am 7. September 2010 verkündete Viviane Reding, die europäische Kommissarin für Justiz und Menschenrechte, eine vernünftige Idee: Bürokratieabbau durch automatische Anerkennung von Personenstandsurkunden im gesamten EU-Raum. Dass dabei auch die europaweite Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe (samt Adoptionsrecht) in allen Staaten eingeführt werden soll – auch in jenen Staaten, die in den nationalen Verfassungen am klassischen Familienbild festhalten –, ist erst auf den zweiten Blick erkennbar. Ein gelungenes Beispiel für „Tarnen und Täuschen“ in der EU, denn Reding scheint mit Widerstand zu rechnen. Sie erklärte: „Was wir nicht wollen, sind Gesellschaften, die gegen die gleichgeschlechtliche Ehe opponieren. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Wir müssen alle Mitgliedstaaten auf der Basis unserer Richtlinien dazu bringen, diese Regeln zu akzeptieren. Für viele ist dies sehr neu und ungewöhnlich. Für einige ist es sehr schockierend.“ Später fügte sie an: „Falls kein Verständnis gezeigt wird, müssen schärfere Maßnahmen ergriffen werden.“

Verständlich, dass Reding keine offene demokratische Diskussion führen will, denn sie folgt damit den Maßgaben des sogenannten „Gender Mainstreaming“ (GM). GM steht für die Überzeugung, dass Männer und Frauen sich lediglich deshalb voneinander unterscheiden, weil sie von der Gesellschaft entsprechend erzogen werden. Dabei wird die Geschlechterrolle – „Gender“ – als ein Lernprogramm gesehen, das umprogrammiert werden kann und vor allem umprogrammiert werden muss.

Während der vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen 1995 in Peking wurde erstmals auf internationaler Ebene das Bild eines Menschen gezeichnet, der sein Geschlecht ohne eine biologische Grundlage wählt und unter den vielen Möglichkeiten der sexuellen Orientierung eine Entscheidung trifft. Seit dem 1. Mai 1999, mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages, ist GM als rechtlich verbindliches Ziel in der Europäischen Union verankert. Es wird streng als „Top-Down-Prinzip“ durchgesetzt und ist verpflichtende Vorgabe für sämtliche nationalen Politikbereiche und Verwaltungsebenen. In den EU-Mitgliedstaaten finden sich seither unzählige entsprechende Projekte sowohl auf nationaler, föderaler, regionaler und kommunaler Ebene.

Mit ihrem Buch „Das andere Geschlecht“ ver­fass­te Simone de Beau­voir, Lebensgefährtin Jean-Paul Sartres, im Jahr 1949 das Standardwerk der Frauenbewegung. Ihre Kernthese „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ gilt heute als Leitspruch der Gender-Bewegung.

Heutzutage kann Judith Butler, Professorin an der kalifornischen Berkeley-Universität, als GM-Vordenkerin gelten. Sie vertritt die Ansicht, die Geschlechtsidentität der meisten Menschen sei eine „Komödie“, welche diese seit frühester Kindheit gezwungen sind aufzuführen. Eine Einteilung der Menschheit in männlich und weiblich lehnt sie kategorisch ab und ist der Überzeugung: „Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass es bei zwei Geschlechtsidentitäten bleiben muss.“ Sie folgert daraus, dass die sexuelle Anziehung zwischen den Geschlechtern keinerlei natürliche Grundlage aufweise. Heterosexualität sieht Butler vielmehr als eine „Zwangsmatrix“, ein perfides Repressionssystem, das überwunden werden müsse. Angestrebt wird die Egalität aller sexuellen Lebensformen. Rollenbilder sollen zunächst „aufgeweicht“ und dann gänzlich eliminiert werden. Ziel der Theorie ist nicht die Gleichstellung der Geschlechter, sondern deren komplette Abschaffung.

Auch wenn diese Ideen jedem gesunden Menschenverstand widerstreben, die Absurdität von Butlers Thesen darf kein Anlass sein, sie als „harmlose Spinnerei“ abzutun. Man würde ihre Wirkung damit gründlich unterschätzen. Die Gender-Vorreiterin rechnet mit einer solchen Reaktion. Je nach Situation und handelnden Personen wird deshalb die Gender-Theorie gebremst und verharmlost oder aber auch in ihrer vollen Radikalität umgesetzt. Nur auf diese Weise konnte aus einer akademischen Nischendisziplin ein bürokratisches Großprojekt werden.

Gender Mainstreaming speist sich ideologisch weitestgehend aus dem Marxismus. Marx, aber insbesondere Engels, erklärten mehrfach die Familie zum Feindbild: „Der Mann ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat“ (Friedrich Engels: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“, 1884). De Beauvoir, die Ikone des Feminismus, sah in der Mutterschaft nichts als „Sklaverei“ und bezeichnete die Ehe als „die größte Falle“.

Bemerkenswert ist, dass sich an diesem Punkt der marxistische Materialismus mit Interessen der modernen Wirtschaftslobby deckt. Eine Frau, welche nicht von ihrer Familie „abgelenkt“ wird, ist eine willkommene Arbeitskraft und wird erziehenden Müttern vorgezogen. Die Interessen der globalisierten Wirtschaft nach kurzfristigen Profiten haben, aufgrund der Präferenzen für ungebundene und vollkommen flexible Arbeitskräfte, den modernen Feminismus gesellschaftsfähig gemacht.

Wie bei der 68er-Bewegung kapitulieren auch beim Gender Mainstreaming die bürgerlichen Kräfte. Sie sind nicht in der Lage, und offensichtlich auch nicht willens, einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu präsentieren. Etliche Vertreter etablierter Parteien scheinen zudem schlicht nicht zu verstehen, was GM tatsächlich bedeutet. In diesen Kreisen wird meist argumentiert, es handle sich lediglich um einen modernen Begriff der Gleichberechtigung. Doch hier tappen viele Bürgerliche in die Falle der Gender-Theoretiker. Die Gender-Theorie ist in der Mitte von Politik und Gesellschaft angelangt und hat auch den radikalsten Formen des Feminismus zur Aura einer gut etablierten Richtung verholfen.

Wenn auch die Verwirklichung einer dermaßen lebensfeindlichen, kruden Ideologie letztlich nicht gelingen kann, darf zweierlei nicht unbeachtet bleiben: Zum einen haben sich Interessierte in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik gefunden, die den Theorien Butlers ernsthaft und unbedingt anhängen und an ihrer Realisierung arbeiten. Zum anderen sind die Auswirkungen der gender-orientierten Politik vor allem in Kindergärten und Schulen ein Anschlag auf die Jüngsten, der schlimme Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft im Gesamten befürchten lässt.

Es ist kein Widerspruch, sich für den gleichberechtigten Rang der Frau einzusetzen und gegen GM zu sprechen. Die noch immer bestehenden Benachteiligungen müssen ausgeglichen werden. Das geringe Lohnniveau der von Frauen dominierten Tätigkeiten, wie die belastenden und verantwortungsvollen Pflege- und Erziehungsberufe, ist nicht zu rechtfertigen. Doch GM hat darauf keine Antwort. Es sei denn, man gibt sich damit zufrieden, dass eine ungerechte Bezahlung, die zur Hälfte auch Männer trifft, kein Ärgernis mehr darstellt. Hinter dem sperrigen Anglizismus steckt etwas anderes als klassische Frauenförderung, die bestehende Ungerechtigkeiten beseitigen will. Gender Mainstreaming will nicht die Lage des Menschen ändern, sondern den Menschen selbst.

Es liegt auf der Hand, dass die verheerende demografische Entwicklung in Europa durch die Adaptierung einer solch lebensfremden Ideologie nur noch beschleunigt wird. Dem muss entschieden entgegengetreten werden. Wir benötigen eine Kehrtwende in der Politik, wenn die Familie und damit unsere Gesellschaft erhalten werden soll.

 

Barbara Rosenkranz ist FPÖ-Politikerin und Landesrätin von Niederösterreich. Sie kandidierte im vergangenen Jahr für das Präsidentenamt in Österreich.


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