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16.07.11 / Prominente Gefangene / Regime hielt Elite als Pfand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-11 vom 16. Juli 2011

Prominente Gefangene
Regime hielt Elite als Pfand

Das System des nationalsozialistischen Herrschafts- und Unterdrückungssystems ist inzwischen in aller nur denkbaren Breite erforscht und dargestellt. Und doch findet jedes Detail hierzu immer wieder Aufmerksamkeit, so auch dieses Buch, das sich dem meist nur am Rande behandelten Thema „Ehren- und Schutzhäftlinge“ des NS-Regimes widmet. Im Vergleich zur Masse der in Konzentrationslagern, Gefängnissen und Gestapokellern inhaftierten Menschen handelt es sich hier zwar nur um einen verschwindend kleinen Personenkreis; gleichwohl wird auch an ihm die ganze Brutalität und Menschenverachtung des Systems sichtbar.

Mit der Besetzung Österreichs im Frühjahr 1938 und besonders nach Kriegsausbruch im September 1939 fielen dem Regime immer mehr ausländische prominente Staatsoberhäupter und Politiker in die Hände, die entweder als Faustpfand für mögliche Tauschgeschäfte (etwa bei Gefangenen) wertvoll schienen oder von denen man wusste, dass sie Gegner des Systems waren, weshalb sie in Haft genommen wurden. Sie galten als „Ehren-“ oder „Schutzhäftlinge“, die oft bis Kriegsende entweder unter vergleichsweise günstigen Bedingungen in Konzentrationslagern inhaftiert oder in Schlössern und Burgen überall im Reich interniert waren. Zu den prominentesten Häftlingen zählten unter anderen Leon Blum, Kurt von Schuschnigg, der belgische König Leopold III., zahlreiche hohe Generäle und Politiker sowie Angehörige des europäischen Hochadels. Der letzte österreichische Bundeskanzler von Schuschnigg beispielsweise wurde schon im Mai 1938 in Wien unter Hausarrest gestellt, erlebte dann in den Folgejahren eine wahre Odyssee durch Sachsenhausen und andere Lager, bis er am Ende eines letzten Transports nach Österreich dort befreit wurde.

Von Schuschniggs Haft ging noch vergleichsweise glimpflich ab; zahlreiche Inhaftierte aber überlebten die Haft nicht, andere wurden noch im letzten Moment von der SS ermordet, wie überhaupt über allen Gefangenen die ständige Angst vor plötzlicher Hinrichtung wie ein Damoklesschwert schwebte. Besonders brutal ging das Regime gegen Eliten aus den besetzten Ländern Osteuropas vor; selbst Kollaborateure wurden, wo sie nicht mehr „nützlich“ waren, bedenkenlos fallen gelassen und inhaftiert. Belastend war zudem, dass alle Häftlinge unter strengster Abschirmung gegenüber der Außenwelt und in größter Anonymität lebten. Von ihrem Schicksal sollte weder die deutsche noch die internationale Öffentlichkeit etwas erfahren.

Neben diesen Ehren- und Sonderhäftlingen gab es sogenannte Vorbeugungshäftlinge, das waren vermeintliche Gegner im Innern, und das System der Sippenhaft, das vor allem nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 gegenüber zahlreichen Angehörigen der Verurteilten praktiziert wurde. Als Hitlers „persönliche Gefangene“ wurde Pastor Martin Niemöller gefangen gehalten, der kurz vor Kriegsende in Südtirol freikam, ferner der Hitlerattentäter Georg Elser, der in Sachsenhausen und Dachau unter strengster Abschirmung eingesperrt war und am 9. April 1945 in Dachau erschossen wurde.

Der Autor, Zeithistoriker in Berlin, hat mit bewundernswertem Fleiß unzählige Details zusammengetragen, um aus den vielen Mosaiken, die ja in Form von Memoiren, Dokumenten und Untersuchungsberichten natürlich längst vorliegen, eine Zusammenschau zu bringen, die man in dieser Konzentration bislang noch nicht kannte. Auch ist bekannt und doch immer wieder erschreckend zu sehen, mit welcher Skrupellosigkeit das System seine Terrorherrschaft sicherte, wobei Menschen, welcher Abstammung, welcher Stellung und welchen Wissens auch immer, sofort fallen gelassen wurden, sofern sie nicht mehr zu instrumentalisieren waren. Dirk Klose

Volker Koop: „In Hitlers Hand. Die Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS“, Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2010, 295 Seiten, 24,90 Euro


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