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16.07.11 / Ein Schlesier alias Mehmet / Deutscher Mediziner wird Zeuge der Kolonialgeschichte Afrikas

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-11 vom 16. Juli 2011

Ein Schlesier alias Mehmet
Deutscher Mediziner wird Zeuge der Kolonialgeschichte Afrikas

Der Heilige Krieg, der Dschihad, stand für ihn über allem. Muhammad Ahmad kannte hier kein Erbarmen. Sein Kampfgebiet war allerdings nicht Afghanistan, sondern der Sudan. Einer, der sich nicht von Ahmad und seinen Kämpfern einschüchtern ließ, war der Schlesier Eduard Schnitzer. Wie es möglich war, dass der 1840 geborene Deutsche überhaupt von Ahmad bedroht werden konnte, beschreibt die Britin Patricia Clough in ihrem Roman „Emin Pascha, Herr von Äquatoria – Ein exzentrischer deutscher Arzt und der Wettlauf um Afrika“. Die Journalistin, die viele Jahre für britische Zeitungen wie die „Times“ und den „Independent“ aus Deutschland berichtete, hat bereits mehrere Bücher mit ostdeutschem Bezug verfasst. „In langer Reihe über das Haff – Die Flucht der Trakehner aus Ostpreußen“ und „Aachen-Berlin-Königsberg – Eine Zeitreise entlang der alten Reichsstraße 1“ wurden bereits in der PAZ gewürdigt. Und auch ihr aktuellstes Buch hat einen Ostpreußen-Bezug, denn Eduard Schnitzer studierte nicht nur an der Albertina in Königsberg, er erhielt auch 1889 die Ehrendoktorwürde seiner alten Universität.

Glaubt man Clough, so war es vor allem Wankelmut statt Heldenmut, der Schnitzer weltberühmt machte. Als junger Mann trieb es den Schlesier vor allem in die Ferne. Ohne abgeschlossenes Medizin-Studium, aber voller Forscherdrang zog es ihn erst auf den Balkan. Auf Umwegen wurde er Leibarzt des Gouverneurs des zum osmanischen Reich gehörenden nördlichen Albaniens, gab sich als Türke aus und verliebte sich in die aus Siebenbürgen stammende Frau seines Arbeitgebers. Nach dessen Tod nahm er die Witwe samt Kindern mit in seine schlesische Heimat, doch dort langweilte er sich schnell und er verschwand ohne Kommentar über Nacht gen Ägypten, wo er vorgab, ein Türke namens Mehmet Emin zu sein. Dort traf er auf den Briten Colonel Charles Gordon, der Gouverneur der Provinz Äquatoria war, dort Sklavenhändler bekämpfte und einen Stabsarzt benötigte. Schnitzer nahm die Position an, zog nach Lado in Äquatoria und wurde 1878 selbst dort Gouverneur.

War das vorliegende Buch bis hierhin hauptsächlich eine Biografie, wird es nun auch zu einem Buch über Afrikas Kolonialgeschichte, denn von nun an ist Schnitzer mitten drin im Kampf um die Aufteilung Afrikas. Äquatoria, vergleichbar mit den heutigen Staaten Nord- und Südsudan, war 1821 vom osmanischen Vizekönig von Ägypten erobert worden. Großbritannien übte großen Einfluss auf die Herrscher in Kairo aus. Als Muhammad Ahmad 1881 mit seinen Dschihadisten gegen die ägyptischen Kolonialherren und ihre westlichen Unterstützer in die Schlacht zog und Gordon im Kampf gegen Ahmad unterlag, regte sich in Großbritannien Unmut, da dieser von London seinem Schicksal überlassen worden war. Nachdem Freunde von Schnitzer, der nur noch überall Emin Pascha hieß, in den Medien in England und Deutschland Unterstützung für den von Ahmad Bedrohten einforderten, entsandten beide Länder Rettungstrupps.

Clough schildert sehr nachvollziehbar, welche machtpolitischen Motive die jeweiligen Herrscher antrieben. Der deutsche Reichskanzler Bismarck schickte so mit äußerst gemischten Gefühlen Carl Peters zur Rettung von Emin Pascha. Wie chaotisch und todbringend für viele diese mit brachialen Methoden durchgesetzte Rettung war, wie wenig Emin Pascha, obwohl von Briten „befreit“, sich gerettet fühlte, zeichnet die Autorin nach. Aus heutiger Sicht ist es kaum nachvollziehbar, wieso so viele Menschen ihr Leben im Kampf um die Aufteilung Afrikas riskierten, wo die meisten starben und die Überlebenden statt Diamanten und Elfenbein Abenteuergeschichten als „Beute“ heimbrachten. Schnitzer selbst schickte seine wissenschaftlichen Aufzeichnungen und Tagebücher heim, er selbst machte sich auf die nächste Expedition, bei der er Sklavenhändlern in die Quere kam, die ihm 1892 „versehentlich“ die Kehle durchschnitten. Rebecca Bellano

Patricia Clough: „Emin Pascha, Herr von Äquatoria – Ein exzentrischer deutscher Arzt und der Wettlauf um Afrika“, DVA, München 2010, gebunden, 334 Seiten, 22,99 Euro


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