© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-11 vom 23. Juli 2011

Chance für eine deutsche Ratingagentur

Konkurrenz für die US-Ratingagenturen könnte in Zukunft aus Deutschland kommen, so sieht es zumindest ein Vorschlag der Münchener Unternehmensberatung Roland Berger vor, die ein entsprechendes Konzept vorbereitet hat. Möglicher Standort dieser neuen Agentur wäre Frankfurt. Unterstützer hat Berger sowohl in der hessischen Landesregierung, der Deutschen Börse als auch bei der Finanzplatz-Initiative Frankfurt gefunden. Das Konzept von Roland Berger versucht, bekannte Mängel der etablierten Rating­agenturen von vornherein zu vermeiden. Um Interessenkonflikte auszuschalten, soll die zu gründende Ratingagentur als private Stiftung organisiert werden. Träger könnten Investoren und Wertpapier-Börsen sein. Im Gegensatz zum angelsächsischen Geschäftsmodell soll die Bezahlung für die Bewertungen nicht durch die Herausgeber der Finanzprodukte, sondern durch die potenziellen Käufer der Produkte erfolgen. Auch eine andere Schwäche der bestehenden Ratingagenturen soll abgestellt werden: die mangelnde Transparenz des Bewertungsverfahrens.

Der Aufbau der neuen Agentur könnte in sechs bis zwölf Monaten beginnen, und ab dem Jahr 2014 wäre es möglich, dass ein voll funktionsfähiges Gegengewicht zu den US-Agenturen steht. Bis es soweit ist, müssen noch 300 Millionen Euro aus der Privatwirtschaft aufgebracht werden, die für den Aufbau der Agentur veranschlagt sind. Seit den 90er-Jahren gab es bereits mehrere Versuche, eine Konkurrenz zu den drei US-Ratingagenturen zu etablieren, die bislang alle gescheitert sind. Die Chancen zum Aufbau einer neuen Rating-Agentur dürften allerdings zu keinem Zeitpunkt besser gewesen sein als derzeit.            N.H.

Zeitzeugen

John Moody — Der 1868 geborene John Moody gründete im Jahr 1909 die Agentur „Moody’s Investors Service“ und gilt in den USA als Pionier der Anleihen- und Unternehmensbewertung. Seit 1975 hat „Moody’s Investors Service“ eine offizielle Anerkennung der US-Börsenaufsicht SEC. Die bereits von Unternehmensgründer John Moody aufgelegten Handbücher „Moody’s Manual of Railroads and Corporation Securities“ und „Moody’s Analyses of Investment“ werden von der Agentur „Moody’s“ nach wie vor weitergeführt.

Henry Varnum Poor — Der Herausgeber der Zeitschrift „American Railroad Journal“, Henry Varnum Poor, veröffentlichte erstmals 1860 in seiner „History of Rail­roads and Canals in the United States“ für Anleger Informationen über die finanzielle Situation von US-Eisenbahngesellschaften. Auf dieses, später jährlich aktualisierte Werk führt Standard & Poor’s den Ursprung des Unternehmens zurück. Die Poor’s Publishing Company verschmolz 1941 mit der Standard Statistics Company zur Rating-Agentur „Standard & Poor’s“.

John Fitch — Aus der von John Knowles Fitch im Jahr 1913 im New Yorker Finanzdistrikt gegründeten „Fitch Publishing Company“ entstand im Jahr 1924 die Firma „Fitch Ratings“. Im Laufe der 20er-Jahre brachte das Unternehmen Publikationen wie das „Fitch Bond Book“ und das „Fitch Stock and Bond Manual“ mit Statistiken der New Yorker Börse und Nachrichten aus dem Gebiet der Unternehmensversicherungen in den USA und Kanada auf den Markt. Haupteigentümer von „Fitch Ratings“ ist inzwischen das französische Unternehmen FIMALAC (Financière Marc de Lacharrière).

Viviane Reding — Bequem war die luxemburgische EU-Politikerin noch nie. Stieß ihr Vorstoß zur Senkung der Roaminggebühren für europäische Mobilfunknetze noch auf Zustimmung, handelte sie sich für ihre Kritik an der Abschiebung von Roma aus Frankreich und einen unpassenden Vergleich mit dem NS-Regime heftige Kritik ein. Angesichts der Euro-Krise kritisiert sie die oligopolistische Stellung der führenden US-Ratingagenturen und fordert, diese Agenturen zu zerschlagen oder zusätzlich europäische und asiatische Agenturen zu gründen.