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30.07.11 / Mittelalter in Kreuzberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-11 vom 30. Juli 2011

Mittelalter in Kreuzberg
von Vera Lengsfeld

Laut Legende soll es in Berlin-Kreuzberg bunt, lustig, weltläufig und vor allem tolerant zugehen. Dieses Bild hält sich hartnäckig, obwohl gewalttätige Mairandalen im Kiez, Anschläge auf „gentrifizierte“ Wohnhäuser und „provozierend geparkte“ Autos längst eine andere Geschichte erzählen. Auch die meisten Touristen, die am Mehringplatz neugierig aus der U-Bahn auftauchen, um die berühmte Kreuzberger Luft zu schnuppern, scheinen noch nicht begriffen zu haben, dass die indigene Bevölkerung, oder was sich dafür hält, schon häufiger durch Anpöbeleien von Fremden demonstriert hat, dass Besucher unerwünscht sind.

Die Kreuzberger wollen unter sich sein. Natürlich nicht alle Kreuzberger, nur die linken Tonangeber. Aber die dafür lauthals. Die schweigende Mehrheit wird sich gefallen lassen müssen, dass sie von der Szene instrumentalisiert wird, solange sie sich nicht dagegen wehrt.

Letzte Woche, nach dem in allen Medien breit kommentierten, von Kameras begleiteten Besuch Thilo Sarazzins, des ehemaligen Finanzsenators und des Noch-SPD-Mitglieds, der wegen tätlicher Hassattacken abgebrochen werden musste – man beschimpfte Sarrazin zudem als Nazi –, hat die Kreuzberger Intoleranz einen neuen Höhepunkt erreicht. Während in den Leitmedien heftig diskutiert wurde, was die „Aspekte“-Redaktion mit diesem Dreh bezweckte, ob die Angriffe zu erwarten gewesen seien und für Quote sorgen sollten, oder ob ganz subversiv abgelichtet werden sollte, wie weit die Kreuzberger Szene bei der Unterdrückung von Meinungsfreiheit zu gehen bereit ist, demonstrierte die längst, dass sie sich um die öffentliche Meinung nicht schert.

Von linken Gruppen wurde auf dem Heinrichplatz unter dem Motto „Hasta la vista, Thilo“ ein „Public Buhing“ angemeldet und erfolgreich durchgeführt. Auf einer Videoleinwand wurden Filmausschnitte mit Sarrazin gezeigt, auch die „Aspekte“-Sendung, und lautstark ausgebuht.

Im Mittelalter nannte man diese Methode der öffentlichen Herabsetzung Pranger-Stehen. Es war mit Recht eine der gefürchtetsten Strafen. Ob die Kreuzberger Dunkelmänner wussten, in welchen historischen Kontext sie sich stellten, ist gleichgültig. Sie hat ja auch nicht abgeschreckt, dass in Deutschlands finstersten Zeiten ähnliche Spielchen Mode waren. Dass Sarrazin noch nicht leibhaftig am Pranger stand, sondern vorerst nur per Video, kann uns nicht beruhigen. Aus geschichtlicher Erfahrung wissen wir, dass, wenn der Mob erst mal in Schwung gekommen ist, er kein Halten mehr kennt. Am schlimmsten aber ist, dass kein Politiker oder Bürgerbündnis bereit sein wird, solche Exzesse entschieden zu verurteilen.


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