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30.07.11 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-11 vom 30. Juli 2011

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

manchmal werde ich gefragt, ob ich überhaupt ruhig schlafen kann, wenn ich eine jener Schick­salsfragen für unsere Kolumne behandeln muss, die viele Leserinnen und Leser bis aufs Tiefste berühren. Vor allem sind es die Probleme jener vertriebenen Landsleute, die bei der russischen Okkupation noch im Kindesalter waren und denen niemand damals und im späteren Leben geholfen hat, diese gravierenden Erlebnisse zu verarbeiten. Manche öffnen erst jetzt im Rentenalter ihre bis dahin verschlossenen Erinnerungen und sind bereit, darüber zu sprechen und zu schreiben. Ich muss mich immer wieder für das Vertrauen bedanken, das mir und damit der Ostpreußischen Familie geschenkt wird, und das überwiegt die Emotionen, die durch ihre Schilderung der Ereignisse auch in mir geweckt werden. Und die mich wirklich manchmal nicht schlafen lassen, weil ich nicht weiß, wie ich die oft grausamen Vorfälle weitergeben kann. Solche Schicksale in nüchternen Zeitungszeilen zu behandeln, sie für andere Menschen transparent zu machen, ohne die Mitteilenden zu verletzen, aber auch keine unbewiesenen Anschuldigungen zu erheben, das ist nicht immer leicht. Wenn aber der Wunsch geäußert wird, die mir vorgetragene Angelegenheit unserem Leserkreis zu vermitteln, muss ich dies tun und zwar unter Zurückhaltung der eigenen Empfindungen – das ist schon manchmal eine Gratwanderung. Ich hoffe, dass mir dies in den meisten Fällen gelingt und auch heute, wenn ich das Anliegen von Frau Adelheid Kloo aus Fischbachau an den Anfang unserer Kolumne stelle.

Vor einem Jahr brachten wir den Bericht von den ehemaligen „Königsberger Kindern“, die auf dem alten Luisenfriedhof ihrer Heimatstadt einen Gedenkstein für die in den Hunger- und Seuchenjahren verstorbenen kleinen Schicksalsgefährten aufstellten. Vielleicht war dies eine Anregung für ein ähnliches Vorhaben, das Adelheid Kloo vorschlägt. Es bezieht sich auf die Vorfälle, die am 20. Januar 1945 in Elbing geschahen. Sie entnahm diese den Schilderungen ihrer damals siebenjährigen Schwester, da sich Adelheid als einziges der vier Kinder der Familie Kantowski in Schmauch, Kreis Pr. Holland befand, als die Russen in Elbing eindrangen. Ihre Mutter Grete war in Schmauch geboren und aufgewachsen. Bei den Großeltern Pelz hatte Adelheid das Weih­nachtsfest verlebt und war wegen der Kampfhandlungen nicht mehr nach Elbing zurückgekehrt. Als die Russen in das Haus Kleiststraße 30 eindrangen, saßen die Eltern mit ihren drei Kindern im Luftschutzkeller. Der Vater Horst Kantowski wurde sofort von den Besatzern mitgenommen. Grete Kantowski wurde mit ihren Kindern auf die sogenannte Kommandantur beordert, die sich in der Nähe des neuen Lazaretts befand. Dort wurden der Mutter alle Gegenstände, die sie bei sich trug – Papiere, Ohrringe, Kette, Uhr – abgenommen und die Personalien festgestellt. Danach mussten Mutter und Kinder in das neue Lazarett, wo sie mit anderen Zusammengetriebenen in den Gängen und auf den Betten der Krankenzimmer hockten. In der Nacht kamen die russischen Besatzer, durchleuchteten mit Taschenlampen die Räume und suchten sich die Frauen aus, die sie mitnahmen. So auch Grete Kantowski, die von ihren Kindern weggerissen wurde. Die verängstigten Geschwister warteten die ganze Nacht über auf die Rückkehr der Mutter, aber sie kam und kam nicht zurück. Als es hell wurde, wagten sich die Kinder auf die Suche nach ihrer Mutter und fanden sie: zwischen zwei Krankenbetten fast entblößt auf dem Boden liegend. Sie war tot. Was dann geschah, schildert Adelheid so:

„Gesagt wurde meinen Geschwistern, dass die Leichen aus den Fenstern geworfen, dann auf Karren verladen und an eine Stelle in unmittelbarer Nähe des Lazarettes gebracht wurden, wo eine Grube an der Mauer eines kleinen Gebäudes, wahrscheinlich der Aussegnungshalle, ausgehoben worden war. Dort wurden die Toten in einem Massengrab beigesetzt. Mich selbst holte mein Opa erst im Mai/Juni 1945 zu Fuß von Schmauch nach Elbing. Er sagte mir aber nicht, dass meine Mutter nicht mehr am Leben sei. Mit meiner Schwester machten wir uns dann auf, die Grabstätte auf dem Lazarettgelände zu suchen. Ein alter Mann bestätigte uns zwar, dass es hier ein Massengrab gäbe, aber wir suchten vergeblich. Das Erd­reich war überall gleich aufgewühlt.“

Soweit die Schilderungen von Frau Kloo, die sie auch im Namen ihrer Geschwister mit der Hoffnung verbindet, dass sich ehemalige Leidensgenossen finden, die mehr über die Ereignisse aussagen können. Um dann vielleicht gemeinsam dafür zu sorgen, dass ein Grabstein für alle der damals auf dem Lazarettgelände Begrabenen aufgestellt werden kann. Die Erfolge unserer Ostpreußischen Familie machten ihr Mut, diesen Wunsch zu stellen und uns vorzutragen. (Adelheid Kloo, Leitzachtalstraße 227 in 83730 Fischbachau, Telefon 08028/457, Fax 08028/1603.)

Es ist manchmal nur ein kurzer Anruf, den man mit einem Unbekannten führen will, der eine Anfrage an uns gerichtet hat, die einer genaueren Definition bedarf. Aber dann wird es ein langes Gespräch, denn es stellt sich heraus, dass der Teilnehmer bis dahin unsere Zeitung und damit auch unsere Ostpreußische Familie überhaupt nicht gekannt hat und nun überrascht ist, was sie bewegen kann. Und nun hofft, dass er endlich die Information auf die Frage erhält, die er bisher nicht stellen konnte, weil er nicht wusste, an wen er sie richten könnte. So versuchen wir es nun, und ich glaube, dass Herr Prof. Dr. Christian Schwokowski aus Dresden einige Zuschriften aus unserem Leserkreis erwarten kann. Prof. Schwokowski wurde 1941 in Lötzen als Sohn des Obermedizinalrates Dr. Heinz Schwokowski geboren, hat also seine frühen Kinderjahre noch in der masurischen Heimat verleben können. Dann verschlug es die Familie in die russische Besatzungszone, wo das Kind die nächsten drei Jahre allein mit seiner Mutter Margot Schwokowski verbringen musste, denn sein Vater kam aufgrund einer Denunzierung in das KZ Sachsenhausen – für drei lange Jahre! Dr. Heinz Schwokowski verstarb 1989 im Alter von 81 Jahren in Sömmerda, also noch vor der Wende, die er sich so erhofft hatte. Jetzt wollen Prof. Schwokowski und sein Sohn das Leben ihres Vaters und Großvaters aufarbeiten und benötigen dazu einige Informationen über dessen Ernennung zum Obermedizinalrat. Leider liegen in der Familie keine Aufzeichnungen darüber vor und deshalb fragte er, ob wir wüssten, wo sie einen Nachweis zu dieser Ernennung erhalten oder gar Einsicht in die Urkunde bekommen könnten. Die Ernennung des damals beim Versorgungsamt Lötzen tätigen Mediziners erfolgte 1944. Welche Behörde stellte diese Urkunde aus? Es dürfte das preußische Innenministerium gewesen sein, denn sie wurde in Berlin ausgefertigt. Sicherlich finden sich Leser, die über solche Vorgänge Bescheid wissen und der Familie Schwokowski die gewünschten Informationen geben können, auch zu der Frage, ob und wo noch heute Unterlagen darüber zu finden wären, in die sie Einblick nehmen könnte. Darüber hinaus kamen bei unserem langen Telefongespräch auch persönliche Dinge zu Tage, und so würde sich unser Landsmann freuen, wenn er mit ehemaligen Bekannten oder Freunden der Familie aus Lötzen Verbindung aufnehmen könnte. (Prof. em. Dr. Ch. Schwokowski, Marcher Straße 23 in 04288 Leipzig, Telefon/Fax 034297/143444, E-Mail: christian.schwokowski@web.de)

Auch der aus Königsberg stammende Wasserbauingenieur Hans Lucke wurde damals denunziert und zu 53 Jahren KZ verurteilt, von denen er sechseinhalb Jahre in Bautzen verbringen muss­te, ehe er amnestiert wurde. Er holte sich die Kraft zum Überleben aus der Erinnerung an seine ostpreußische Heimat und vor allem an die Jahre in Memel und Schwarzort vor der litauischen Zeit, in denen er genaue Kenntnisse über die industrielle Gewinnung von Bernstein aus dem Kurischen Haff gewann. So konnte er seinen Mithäftlingen viel über Bernstein erzählen, und als er wieder in Freiheit war, hat er ein Buch darüber geschrieben „Der leichte Stein“, in dem er dieses Thema in Romanform behandelt. Seine Tochter Anna-Luise Lucke aus Lüneburg hütet noch heute die letzten Exemplare, auch die weiteren Publikationen des 1983 verstorbenen Autors. Nun las Frau Lucke in Folge 26 den Beitrag über den Bern­steinkünstler Evaldas Geistoraitis und sein in Erfurt gezeigtes Schachspiel aus Bernstein und die mit dieser Arbeit zusammenhängenden Bezüge auf das Vorkommen des „ostpreußischen Goldes“ im und am Kurischen Haff. Frau Lucke beschloss sofort, ihm das Buch zukommen zu lassen, und der Künstler dürfte sich darüber freuen, denn er erhält damit authentisches Material über die gewerbliche Gewinnung des Bernsteins in jenem Gebiet zu deutscher Zeit, dazu leicht lesbar, wie es eben zu dem „leichten Stein“ passt. Es dürfte auch für die in dem Bericht geplante Gründung eines Museums der industriellen Nutzung des Bernsteins als Informationsquelle Bedeutung haben. Vielen Dank für diese spontane Übersendung, liebe Frau Lucke.

Bernstein – dem Wort wohnt ein Zauber inne. Und ein wenig habe ich diesen wohl in meiner Erzählung „Hannas Kette“, die in der Folge 25 erschien, vermitteln können, jedenfalls für einen Leser aus der Lüneburger Heide, der die in der Geschichte geschilderte Begegnung eines älteren Mannes mit der Vergangenheit – durch einen kurzen Blick aus dem Zugfenster ausgelöst – mit einer Episode aus seinem eigenen Leben verbindet. Es ist irgendwie auch seine Geschichte. Die Gedanken folgen der Spur. Zwar ist er niemals in Ostpreußen gewesen, seine Kindheit und Jugendzeit hat er unter Meck­lenburgs Himmel verbracht. Doch auch in seinem Leben hat es eine Hanna gegeben – Hanna D. In der Verschwiegenheit des großen Waldes, der zwischen ihren Wohnorten lag, hatten sie sich getroffen. Schützender hoher Farn, üppiges Moos und das Fingerspiel der Sonnenstrahlen auf Hannas Haut schufen ein Bild, das diesen Freitag im August nach seinem 18. Geburtstag die Jahrzehnte überdauern sollte. Sie hatten nie über Heirat und Kinder gesprochen, und es war vorbei, noch bevor seine Familie die Flucht in den Westen antreten musste. Weniger als ein Jahr danach stand die Mauer. Jahre später lernte er in Süddeutschland seine Frau kennen. Sie hatten beide Glück mit ihrer Wahl und lieben sich noch heute. Zu den beiden Töchtern gesellten sich im Laufe der Jahre die passenden Schwiegersöhne und sieben ebenso hübsche wie wohlgeratene Enkelkinder. Am Rande des Städtchens leben seine Frau und er in ihrem Haus, werden wohl ein wenig bewundert und beneidet.

Doch die Gedanken kehren zurück. Nach der Wende rieten Freunde, nicht in Kontakt zu Hanna zu treten, sondern die schöne Erinnerung zu bewahren. In all den Jahren hatte er schon bisweilen an sie gedacht. Natürlich hatte er auch irgendwann versucht, sich den Verlauf eines gemeinsamen Lebens vorzustellen. Doch hartnäckig hatten sich Bilder aus der Realität in die Räume der Fantasie gedrängt. Nein, er würde nicht tauschen! Hatte auch Hanna Gedanken wie diese gesponnen? Mit welchem Ergebnis? Nie würde er es wissen. Auch in Zukunft mag er sich wohl noch manchmal an Hanna erinnern. Doch von nun an wird er dann wünschen, ihr damals eine Kette geschenkt zu haben.

Eine Bernsteinkette hätte gut zu ihr gepasst!

„Für die wundervolle Erzählung über Hannas Kette danke ich Ihnen“, beendet der Schreiber seinen Brief an mich. Und ich danke ihm für die so behutsam geschilderte Geschichte aus seinem eigenen Leben. Dichtung und Wahrheit gehen hier eine unerwartete Symbiose ein.

Das wollte, das konnte ich unseren Lesern nicht vorenthalten.

Eure Ruth Geede


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