16.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.07.11 / Zweifelhafte Lebensbeichte eines Kriegshäftlings / Buch über angeblichen Einbruch eines Briten in ein KZ sorgte selbst in England für Furore

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-11 vom 30. Juli 2011

Zweifelhafte Lebensbeichte eines Kriegshäftlings
Buch über angeblichen Einbruch eines Briten in ein KZ sorgte selbst in England für Furore

Ein britischer Kriegsgefangener behauptet, sich ins Konzentrationslager von Auschwitz eingeschlichen zu haben.

Auschwitz ist zum Inbegriff für den nationalsozialistischen Terror geworden. In den Einzellagern – darunter Birkenau – starben bis zum November 1944 über eine Million Menschen, vor allem Juden aus europäischen Ländern, Sinti und Roma sowie Polen. Zehntausende Häftlinge kamen zudem auf den  Todesmärschen um. Erst im Januar 1945 gelang den sowjetischen Truppen die Befreiung der wenigen Überlebenden.

Die Nationalsozialisten hatten zuvor die Zerstörung der Krematorien angeordnet, um die Spuren des organisierten Massenmords zu beseitigen. Doch die Erinnerungen der überlebenden Opfer konnten sie nicht auslöschen. Denis Avey, eines von ihnen, hat nach über 60 Jahren sein Schweigen gebrochen. Der BBC-Reporter Rob Broomby drehte einen Film über den Kriegsveteranen, und Ex-Premierminister Gordon Brown ehrte ihn als „Britischen Helden des Holocaust“. Gemeinsam mit Broomby hat Avey seine traumatischen Erlebnisse aufgeschrieben. In England sorgte das Buch bereits für Furore, denn viele hegen Zweifel an der Geschichte.

In „Der Mann, der ins KZ einbrach“ schildert der heute 92-Jährige, wie er als junger Soldat 1943 über Umwege in das Kriegsgefangenenlager E715 gelangt, das direkt neben Auschwitz-Monowitz liegt. Zusammen mit den KZ-Häftlingen muss er für den Chemiekonzern IG Farben schuften. Die „Gestreiften“, wie der Engländer sie nennt, „erinnerten an sich bewegende Schatten, gestaltlos und verschwommen, als könnten sie jeden Augenblick ins Nichts verblassen. Den bemitleidenswerten Gestalten war fast alles genommen worden, was das Menschsein ausmacht“. Avey wird Zeuge ungeheuerlicher Verbrechen. Sein Glasauge verdankt er dem Pistolenhieb eines SS-Offiziers, der einen jungen Juden beim Kabelverlegen fast totschlägt und den er daraufhin mit „Du verfluchter Untermensch!“ anschreit.

Als immer mehr seiner jüdischen Leidensgenossen verschwinden, forscht der Brite auf eigene Faust nach. „Dass ich nichts dagegen tun konnte, besudelte mich und mein Leben. Ich konnte nicht zulassen, dass es so weiterging.“ Er entwickelt den riskanten Plan, seinen privilegierten Platz als Kriegsgefangener gegen zwei Päckchen Zigaretten mit dem jüdischen KZ-Insassen Hans zu tauschen.

Wochenlang studiert Avey die Bewegungen der Häftlinge, „ihre gebeugte Haltung und ihren schlurfenden Gang“. Er rasiert sich komplett die Haare ab und schmiert sich Erde ins Gesicht, um so ausgemergelt wie die „Gestreiften“ auszusehen. In einem Schuppen auf dem Gelände der Buna-Werke der IG Farben tauschen die beiden Männer nach Schichtende ihre Kleidung („Heeresuniform“ gegen „verlauste Zebrakleidung“) und Identität.

Was der Brite in dem Lager erlebt, entbehrt jeglicher Vorstellung. Während des abendlichen Zähldurchgangs auf dem Appellplatz sieht er einen Toten am Galgen baumeln. Bei der Essensausgabe steigt ihm der eklige Geruch von faulem Kohl in die Nase. Ohne die Suppe in seinem Blechnapf anzurühren, geht er mit den anderen Häftlingen zur Baracke. Seine beiden Bettnachbarn auf der engen Etagenpritsche sind in sein Vorhaben eingeweiht. Der Gestank von Kot, Schweiß, Krankheit und Verwesung sowie die Schreie der Insassen im Schlaf lassen ihn kein Auge zutun. Nach dem Morgenappell und einem kargen Frühstück („eine Scheibe Schwarzbrot mit undefinierbarem Aufstrich“) schlurft er mit der Kolonne zur Baustelle und wechselt in einem unbeobachteten Moment wieder die Kleider mit Hans. Noch zweimal wagt Avey den lebensgefährlichen Rollentausch. Überzeugt vom baldigen Sieg der Alliierten will er sich die Namen der Kapos und SS-Führer merken, um später vor Gericht als Zeuge aufzutreten. Auf dem Todesmarsch Anfang 1945 kann er schließlich fliehen und kehrt nach England zurück. Von Hans hört er nie wieder etwas.

Sowohl ehemalige Kriegsgefangene als auch jüdische Organisationen und Historiker bestreiten, jemand hätte einfach so unbemerkt den Platz mit einem jüdischen KZ-Insassen tauschen können. Piotr Setkiewicz vom Museum Gedenkstätte Auschwitz warnt vor solchen unglaubwürdigen Geschichten, die nur den Holocaust-Leugnern Zündstoff liefern würden. „Das Risiko war doch einfach viel zu groß“, meint er. „Die Häftlinge wurden täglich mehrfach von den Kapos durchgezählt, konnten ständig auf SS-Leute treffen. Gerade englische Häftlinge waren auffällig, da sie kaum Deutsch gesprochen haben. So war ein britischer Häftling erkennbar – selbst in gestreifter KZ-Kleidung.“

Ferner behauptet der Autor, Auschwitz-Monowitz unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ betreten zu haben, obwohl es dieses Schild nur im Stammlager gab. Auch seine Beschreibung der KZ-Kleidung voller Läuse widerspricht der Praxis in Monowitz, nach der die Häftlinge zur Reinlichkeit angehalten wurden. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat bisher weder Zeugen noch Beweise für Aveys Erzählung gefunden. Den Skeptikern entgegnet der Autor: „Ich bin unglücklich darüber, dass man mir nicht glaubt, aber es macht mir nichts aus. Ich weiß: Ich habe es getan.“

            Sophia E. Gerber

Denis Avey und Rob Broomby: „Der Mann, der ins KZ einbrach“, Bastei Lübbe, Köln 2011, 360 Seiten, geb., 19,99 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren