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06.08.11 / Die Mauer ist tot, was war die Mauer?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-11 vom 06. August 2011

Gastkommentar
Die Mauer ist tot, was war die Mauer?
von Vera Lengsfeld

Am 13. August 1961 saß ich neben dem Radioapparat in der Küche meiner Großmutter, als die Meldung von der Schließung der Staatsgrenze in Berlin kam. Nun wurde klar, warum der Familienurlaub an der Ostsee ausgefallen war, weil mein Vater, Offizier der Nationalen Volksarmee, Urlaubssperre bekommen hatte. Ich glaubte als Neunjährige jedes Wort, das die Kommentatoren des DDR-Rundfunks und Fernsehens wiederholten: „Unser Schlag hat gesessen!“ „Militaristen, Imperialisten, Kalte Krieger, Frontstadt-Politiker“ waren endlich „in die Schranken gewiesen“ worden, von unseren „tapferen Soldaten“, die „wie ein präzises Uhrwerk“ ihren „ehrenvollen Kampfauftrag“ erfüllten. Die Grenzen des Landes wurden gesichert, damit „entmenschten Kinderräubern der Weg versperrt“, „Familien vor Spitzeln, Erpressern, Kopfjägern” geschützt werden könnten. Die Kinderräuber und die Kopfjäger beeindruckten mich am meisten. Schließlich war ich noch ein Kind und wollte meinen Kopf unbedingt behalten. Der Sieg war unser, den Machenschaften des Gegners war ein für alle mal ein kraftvoller Riegel vorgeschoben. Den Ostseeurlaub konnten wir im nächsten Jahr nachholen, bei der Großmutter war es sowieso am schönsten.

Wer sich heute die Nachrichten und Kommentare aus jenen Augusttagen anhört, kann es kaum fassen, wie demagogisch sie sind. Das Vokabular eines Krieges, der latent vorhanden war, nie richtig ausbrach, aber dennoch das Leben bestimmte, besonders das der DDR-Bürger. Am Abend dieses 13. August verkündete der Sprecher der „Aktuellen Kamera“, die DDR hätte von ihrem „Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht“ und eine Kontrolle eingeführt, „wie sie an den Grenzen eines jeden souveränen Staates üblich“ seien. Wer in Berlin dabei war oder Westfernsehen sah, wusste, wie groß diese Lüge war. In den nächsten Tagen und Wochen gab es dramatische Fluchtszenen in der ganzen Stadt, besonders da, wo die Grenze mitten durch eine Straße gezogen wurde. Auf der Westseite protestierten aufgebrachte Westberliner. Ihr Bürgermeister Willy Brandt hatte als erster scharf gegen das Zerreißen der Stadt protestiert. Die Maßnahmen bedeuteten nicht nur eine „Art Staatsgrenze“, sondern „dass mitten durch Berlin die Sperrwand eines Konzentrationslagers gezogen“ werde. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer reagierte weit zurückhaltender. Erst Tage später, am 21. August, besuchte er die Stadt, ließ die Proteste der Westberliner, die ihn zum Handeln aufforderten, an sich abprallen. Er wusste sich in Übereinstimmung mit dem Amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, der fand, dass die Mauer „keine schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg“ sei. Der britische Premier McMillen setzte noch eins drauf: „Die Ostdeutschen halten den Flüchtlingsstrom auf und verschanzen sich hinter einem noch dichteren Eisernen Vorhang. Daran ist an sich nichts Gesetzwidriges.“

Die Flüchtlinge hatten allerdings das System fast zum Zusammenbruch gebracht, indem sie mit den Füßen über die Legitimität von Stalins kommunistischem Feldversuch abstimmten. Von Mai 1945 bis zum Mauerbau verließen etwa 3,5 Millionen Menschen die Sowjetische Besatzungszone beziehungsweise die DDR. Dieser Menschenstrom schwoll immer mehr an. In den Augusttagen 1961 flohen täglich 2500 Bürger aus der DDR. Weil sie ihre Bürger nicht halten konnten, dachten die DDR-Machthaber schon seit 1952 über die Abriegelung der Staatsgrenzen, besonders in Berlin, nach. Aber praktisch war die Idee nicht durchführbar, solange der Eisenbahnring um Westberlin nicht fertig gestellt war. Bis dahin war die deutsche Reichsbahn auf die Strecken durch Westberlin angewiesen. Als dieses Hindernis beseitigt war, verdichteten sich die Hinweise auf das Vorhaben, die DDR-Bürger am Verlassen des Landes zu hindern. Sowohl die Alliierten als auch der Bundesnachrichtendienst wussten, was auf die Deutschen zukommen würde. Auch die Presse ahnte etwas. Auf einer „Internationalen Pressekonferenz“ antwortete Staats- und Parteichef Walter Ul­bricht im Juni auf die Frage einer Journalistin: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ Damit benutzte Ul­bricht als erster das Wort Mauer, zwei Monate, bevor sie tatsächlich in Angriff genommen wurde.

Es gab keinen Versuch seitens des Westens, diese Ungeheuerlichkeit zu verhindern. Als sie Realität wurde, blieben seine Proteste moderat. Schließlich wurde die Mauer als unabänderlich akzeptiert, spätestens dann, als es der sowjetischen Propaganda gelang, den Westen davon zu überzeugen, der Friede sei nur durch ein dauerhaft geteiltes Deutschland und Europa zu sichern. Die Last hatten die Menschen im Osten zu tragen. Wer dazu nicht bereit war, versuchte, unter Lebensgefahr zu flüchten. Den ersten Mauertoten, Günter Litfin, gab es am 24. August 1961, den letzten, Chris Gueffroy, am 3.2. 1989. Insgesamt kamen allein in Berlin 192 Menschen zu Tode. Als der junge Maurer Peter Fechter am 17. August 1962 angeschossen wurde und unter den Augen hunderter Westberliner verblutete, weil er auf DDR-Territorium lag und ihm vom Westen aus nicht geholfen werden konnte, wollten wütende Demonstranten die verhasste Grenze stürmen. Die Westberliner Polizei und amerikanische GIs verhinderten das und sicherten den „Antifaschistischen Schutzwall“.

Es war das Volk, das sich nie mit der Mauer abgefunden hat. Wenn es nach Politik und Meinungsmachern gegangen wäre, stünde sie heute noch. Im Osten gingen nach Aufforderung durch die Partei zahlreiche Schauspieler, Schriftsteller und Künstler zu den „Grenzorganen“, um mit ihren Darbietungen die Genossen bei der Erfüllung ihres „Kampfauftrags“ moralisch zu unterstützen. In den folgenden Jahrzehnten konnte man aus diesen Kreisen mit dem größten Verständnis für das Grenzregime rechnen. Übertroffen wurde das höchstens von den westdeutschen Links-Intellektuellen, die in der Teilung Deutschlands eine gerechte Strafe für die nationalsozialistischen Verbrechen sahen und alles für opportun hielten, was die DDR stabilisierte, weil sie sicher sein konnten, diesen Staat nie selbst aushalten zu müssen.

40 Jahre lang war ein Teil der Deutschen eingemauert und lebte mit der Erwartung, dass dies immer so bleiben würde. Die „blutende Wunde“ unseres Volkes war tatsächlich, wie Willy Brandt es 1961 bei seinem dramatischen Appell aus Westberlin an die Völker der Welt befürchtet hatte, „mit Stacheldraht und genagelten Stiefeln“ verschlossen worden. Dass die Grenzanlagen der DDR denen eines KZ glichen, sah man nur von außen. Im Laufe der Jahre hatte sich die Grenze immer weiter von den Menschen entfernt. In Berlin gab es vor der eigentlichen Mauer ab den 70er-Jahren eine zweite, die das Grenzregime den Blicken entzog. In der Republik sorgte ein tief gestaffeltes Sperrgebiet dafür, dass man der Grenze nicht zu nahe kam. Nur vom Westen aus waren die Anlagen mit ihrem Stacheldraht, den Kolonnenwegen, den Laufleinen für Bluthunde, den Selbstschussanlagen, den geharkten Erdstreifen, den Wachtürmen mit den MP-bewaffneten Soldaten gut zu sehen.

Es war eine Schandgrenze. Selbst die Partei ihrer Erbauer ist sich dessen bewusst. Nach dem Mauerfall sorgte die damalige Baustadträtin der PDS vom Prenzlauer Berg dafür, dass die Maueranlage in der Bernauer Straße, die zum Erhalt für eine zukünftige Gedenkstätte vorgesehen war, abgerissen wurde. Sogar der Wachturm verschwand. Was übrig blieb, sieht so harmlos und unecht aus, dass sich Besucher fragen mögen, wieso eine solche Anlage echtes Leid verursachen konnte. Das ist bedenklich, denn nur, wer der Vergangenheit ins Auge sieht, ist für die Zukunft nicht blind.


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