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06.08.11 / Aslaks sechster Sinn / Ein Mischlingshund rettete dem Seemannn Ole Jensen das Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-11 vom 06. August 2011

Aslaks sechster Sinn
Ein Mischlingshund rettete dem Seemannn Ole Jensen das Leben

Dort, wo die schmale Felsnase ins blaugrüne Wasser des Fjords eintauchte, lag das Gasthaus des Ole Jensen. Ole, ein lang aufgeschossener Mann mit flachsblondem Haar, war dafür bekannt, dass er den besten Rumpunsch ausschenkte, den es auf den Lofoten gab. Geschäftig eilte er in der Schankstube von Tisch zu Tisch. Er kannte sie alle, die Kapitäne und Matrosen der Fischkutter, die bei ihm einkehrten. Und sie kannten ihn und seine Geschichte. Denn er war einmal einer von ihnen gewesen, bis er vor Jahren seine Stellung beim alten Erikson aufgab und die geteerten Bootsplanken mit den blankgescheuerten Dielen des Gasthauses tauschte. Ole hatte seiner Frau das Versprechen gegeben, keinen Fuß mehr auf das Deck eines Schiffes zu setzen. Denn die verblasste Fotografie eines zotteligen Hundes, die in einer Ecke der Wirtsstube hing, war die Erinnerung an die schwerste Entscheidung seines Lebens. Und zu der Aslak, ein Mischling mit großen, klugen Augen, ihn zwang! Gelegentlich, wenn ein Fremder nach dem Ursprung des Fotos fragte, erzählte Jensen noch einmal die Geschichte, die ihn mit dem Hund verband. „Das war damals, als ich auf Eriksons Kutter angeheuert hatte“, begann er dann in seiner bedächtigen Art. „Wir fuhren zum Dorschfang hinaus und hatten eine gute Mannschaft an Bord. Auch Aslak gehörte dazu. Erikson hatte ihn als jungen Hund mit aufs Schiff gebracht. Anfangs verkroch er sich in der Kajüte und ließ sich nur selten an Deck sehen. Erst wenn die See ruhiger geworden war, und wir wieder auf Heimatkurs gingen, kam er zu uns herauf. Er stand dann am Bug, die Nase im Wind. Kaum waren die Trossen am Kai festgezurrt, sprang Aslak von Bord, sichtlich froh darüber, wieder fes-ten Boden unter den Pfoten zu haben. Trotz deutlicher Abneigung gegen die Seefahrt, folgte Aslak seinem Herrn immer wieder auf das Schiff. Erikson hatte wenig Gelegenheit, sich um den Hund zu kümmern. Deshalb beschäftigte ich mich in meiner Freizeit mit ihm und gewann schnell seine Zuneigung. Er war ein ungewöhnlich kluger Bursche, anhänglich und immer gut aufgelegt. Erikson achtete kaum auf Aslaks Verhalten, wenn er vor einem Sturm unruhig hin- und herlief. Doch ich erkannte bald einen Zusammenhang. Deshalb war der Vorfall, der sich später ereignete, von ganz besonderer Bedeutung für mich. Wir hatten eigentlich die Fangzeit beendet, da wurde ein großer Schwarm von Dorschen gemeldet, der draußen im Sund vorbeizog. Die meisten Fischer zeigten wenig Interesse daran, weil das Wetter zu unbeständig geworden war. Nur Erikson und ein anderer Kapitän wollten noch einmal hinausfahren. Der zu erwartende Gewinn lockte auch mich.

Kurz vor dem Ablegen bemerkte Erikson, dass Aslak fehlte. Wir suchten ihn und entdeckten ihn schließlich hinter einer Tonne auf der Kaimauer. Erikson rief ihn zu sich. Doch Aslak rührte sich nicht von der Stelle. Als wir ihn an Bord bringen wollten, lief er davon, blieb in einiger Entfernung stehen und stieß ein klagendes Geheul aus. Der Kapitän wurde wütend, weil die Zeit drängte. Es gelang uns, Aslak einzufangen und aufs Schiff zu bringen. Aber der Hund beruhigte sich nicht. Während wir die Laufplanke einzogen, irrte er unablässig herum. Als Erikson ihn am Halsband fasste, um ihn in die Kajüte zu bringen, fletschte Aslak die Zähne gegen seinen Herrn und riss sich los.

Mit einem Satz sprang er über die Reling, hastete die Mole entlang und verschwand zwischen den Häusern des Ortes. Im selben Moment wurde mir klar, was Aslaks ungewöhnliches Verhalten bedeutete. Sein untrüglicher sechster Sinn, warnte ihn vor drohender Gefahr. Vergeblich hatte er versucht, Erikson daran zu hindern, in See zu stechen. Ich teilte dem Kapitän meine Vermutung mit. Doch Erikson lachte mich aus und nannte mich einen abergläubischen Narren. Ich beharrte auf meiner Meinung. Da wurde Erikson fuchs-teufelswild. Er stellte mir frei, von Bord zu gehen, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass es danach keinen Platz mehr für mich auf seinem oder einem anderen Kutter geben würde.

Ich stand vor einer schweren Entscheidung. Deutete ich Aslaks Verhalten falsch und das Boot kehrte wohlbehalten von der Fahrt zurück – war ich ein geächteter Mann. Doch die Warnung des Hundes erschien unmissverständlich. Ohne noch länger zu zögern, griff ich nach meinem Seesack und schwang mich über die Reling an Land. Der Fischkutter legte ab und im selben Augenblick tauchte Aslak neben mir auf. Er kauerte sich nieder und blickte unverwandt dem im Dunst verschwindenden Boot nach. Als ich nach Hause ging, folgte Aslak mir und wich nicht mehr von meiner Seite. Noch in derselben Nacht brach ein Unwetter los, das die Ziegel von den Dächern riss und das Meer in Aufruhr versetzte. Am Morgen versammelten sich die Einwohner des Dorfes auf der Mole, um nach den beiden Fischkuttern Ausschau zu halten.

In der Dämmerung tauchte eines der beiden Fangboote am Horizont auf und lief in den Hafen ein. Mit letzter Kraft pumpten die Männer an Deck das leckgeschlagene Schiff leer, um es über Wasser zu halten. Aber sie kehrten heim! Eriksons Boot war im Orkan gekentert und mit der Mannschaft untergegangen. Nur ich entging dem gleichen Schicksal, weil Aslaks Verhalten mich unmissverständlich davor gewarnt hatte…“ Albert Loesnau


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