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13.08.11 / Als die Kunst den Alltag eroberte / Gebrauchsgrafik aus der Zeit des Jugendstils auf einer Ausstellung in Hamburg zu sehen – Ein Bestandskatalog informiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-11 vom 13. August 2011

Als die Kunst den Alltag eroberte
Gebrauchsgrafik aus der Zeit des Jugendstils auf einer Ausstellung in Hamburg zu sehen – Ein Bestandskatalog informiert

Zum ersten Mal ist in einer Ausstellung ein umfassender Überblick über die Entwicklung der angewandten Kunst zu sehen, welche die Basis zur heutigen Vielfalt des Grafikdesign legte. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zeigt anlässlich der Aufarbeitung einer der weltweit umfangreichsten Sammlungen der Gebrauchsgrafik eine bedeutende Auswahl.

Die Ausstellung präsentiert mit mehr als 350 Grafiken aus der Zeit um 1900 Werke von bedeutenden Künstlern wie Henri de Toulouse-Lautrec, Alfons Mucha, Henry van de Velde und Peter Behrens. Anhand der Exponate werden entscheidende Entwick-lungen des Historismus, der Art Nouveau, des Jugendstils, der Wiener Secession, des Expressionismus und des Art Déco in Europa und der neuen Werbung in den USA dokumentiert.

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe besitzt weltweit eine der umfangreichsten Sammlungen von Grafikdesign. Begonnen hatte es 1900, als Museumsgründer Justus Brinck-mann die Pariser Weltausstellung besuchte und dort Werken des Jugendstils begegnete. „Als Zeitzeuge beobachtet Brinckmann, wie der Jugendstil als ästhetische Bewegung in breite Gesellschaftsschichten vordringt und sich zur Verbreitung seiner Ideale unzählige neue Medien schafft. Elitäre Kunstzeitschriften, Kalenderblätter, Werbeanzeigen und vor allem Plakate befördern eine flächendeckende Ästhetisierung des Alltags“, schreibt Sabine Schulze, Direktorin des Museums, im umfangreichen Bestandskatalog „Grafikdesign im Jugendstil“, der zur Ausstellung erschien. Es dauerte drei Jahre, bis der Kernbestand von etwa 20000 Grafiken aus der Zeit zwischen 1890 bis 1914 erfasst war. Entstanden ist ein informatives Werk, das weitaus mehr ist als ein reiner Bestandskatalog. In einzelnen Kapiteln beschäftigen sich die Herausgeber Jürgen Döring und Holger Klein-Wiele mit den wichtigsten Bereichen der Gebrauchsgrafik. Verschiedene Stilrichtungen von der Neorenaissance bis zum Expressionismus werden vorgestellt, auch exemplarische Gattungen wie Buch- und Zeitschriftentitel, Illustrationen, Post- und Visitenkarten oder  Exlibris und Theaterprogramme. Zu den wichtigsten Motiven im Grafikdesign der beiden Jahrzehnte um 1900 gehören Blumen und Persönlichkeiten, aber auch Automobile, Sport und technische Errungenschaften wie etwa die Elektrizität. „Nach eher volkstümlichen Anfängen in verschiedensten Formen, vom kleinen Sammelbild bis zum großen Plakat, trafen um 1890 sehr unterschiedliche Ent­wicklungen zusammen und bewirkten eine grundlegende Erneuerung der angewandten Grafik“, erläutert Jürgen Döring die Entwicklung des Grafikdesigns um 1900. „Neue Druck-techniken ermöglichten einen auch in der Farbigkeit problemlosen Bilddruck. Eine zunehmende internationale Konkurrenz, ausgelöst durch die Weltausstellungen, ließ den Bedarf nach gut gestalteter Werbung und grafischem Auftritt wachsen. In Paris wurde das von führenden Künstlern lithografierte Plakat zu einer der gefragtesten Kunstgattungen. Die Arts and Crafts Bewegung in England lenkte den Blick auf die vorbildhafte Gestaltung von Schrift und Buch.“ Nach 1905 schließlich entstand das neue Berufsbild des Grafikdesigners, erste Agenturen wurden gegründet.

Die Namen vieler Entwerfer sind dem Laien heute nicht mehr geläufig. Umso spannender sind die über 200 Biografien, die Döring und Klein-Wiele zusammengetragen haben. Neben den noch heute bekannten Künstlern wie Henri Toulouse-Lautrec und Alfons Mucha finden sich Namen wie der von Johann Vincenz Cissarz, geboren 1873 in Danzig. Er arbeitete unter anderem für den Verleger Eugen Diederichs und entwarf für dessen 1896 gegründeten Verlag das noch heute verwendete Signet. Der aus dem pommerschen Stolp stammende Edmund Edel schuf Plakate wie auch Theaterprogramme für das „Überbrettl“ in Berlin, während der in Hohensalza / Posen geborene Fritz Helmuth Ehmcke unter anderem 1907 den Buchtitel „Balladen und Lieder“ von Agnes Miegel für Diederichs gestaltete. Auch die Schlesier Fritz Erler, Adolf Münzer und Paul Scheurich waren in ihrem Metier erfolgreich.

Der aus Bromberg stammende Walter Leistikow ist vor allem als Landschaftsmaler sowie als Mitbegründer der Berliner Sezession und Freund des Ostpreußen Lovis Corinth bekannt. Leistikow schuf unvergleichliche Grunewald-Motive, entwarf aber auch Buchtitel, Wandkalender, Tapeten, Glasfenster und Wohnungseinrichtungen. In seiner Biografie über den Freund schrieb Lovis Corinth: „Der dekorative Sinn scheint für Leistikow nur in nordischen Motiven Reiz gehabt zu haben: Überall in Stühlen, auf Teppichen, Bettstellen tauchen die heidnisch nordischen Pferdeköpfe auf, die Wikingerschiffe, die ornamental geformten Wellen und das Kielwasser der norwegischen Fjorde. Für Tapeten verwandte er außerdem auch viel Blumenmotive und Wassermotive aus der Mark. Das Beste in dieser seiner kunstgewerblichen Art sind ohne Zweifel seine Teppiche, zu denen ich nicht nur die gewebten, fertig ausgestatteten, sondern auch die mit Farben auf Leinwand gemalten, dekorativen Entwürfe zähle.“ Einen Eindruck von dieser dekorativen Kunst gewinnt auch der Betrachter des Katalogs, sind dort doch ein Buchtitel mit Leistikows individueller Versalienschrift zu sehen wie auch ein Wandkalender mit einem Grunewaldmotiv.

Wer keine Gelegenheit hat, die Hamburger Ausstellung zu besuchen, der ist mit dem Bestandskatalog vollauf gut bedient, enthält er doch weitaus mehr Beispiele an Jugendstil-Grafik als man in der Ausstellung zeigen kann. Zudem ist er ein wunderbares Bilder- und Lesebuch für alle, die sich für die angewandte Kunst aus der Zeit um 1900 begeistern können.             Silke Osman

Die Ausstellung „Grafikdesign im Jugendstil – Der Aufbruch des Bildes in den Alltag“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, ist bis zum 28. August  dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis  21 Uhr geöffnet. Der Katalog (Texte von Jürgen Döring und Holger Klein-Wiele, 512 Seiten, 1200 Abbildungen, 68 Euro) ist 2011 im Hatje Cantz Verlag, Esslingen, erschienen.


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