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13.08.11 / Wie der König das alles aushielt / Entwicklungspschologische Betrachtungen über die Widerstandsfähigkeit des Sohnes Friedrich Wilhelms I.

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-11 vom 13. August 2011

Wie der König das alles aushielt
Entwicklungspschologische Betrachtungen über die Widerstandsfähigkeit des Sohnes Friedrich Wilhelms I.

Anlässlich seines 225. Todestages kommenden Mittwoch soll der Versuch gemacht werden, den Charakter Friedrichs des Großen aus einer anderen als der rein historischen Perspektive zu untersuchen. Denn die Grundlagen seines Handelns sind äußerst aufschlussreich und erwecken auch aus einer ganz anderen wissenschaftlichen Sichtweise das Interesse des Betrachters. Dabei bieten sich ihm überraschende Züge dar, die von modernen psychologischen Erkenntnissen gestützt werden.

Eines der Hauptmerkmale der Persönlichkeit des Königs ist seine Resilienz (Widerstandsfähigkeit). Das Verb „resilire“ wurde im Lateinischen von verschiedenen Schriftstellern verwendet und zwar mit der Bedeutung: „abprallen“, „nicht an der Person haften“ oder „ihn nicht treffen“. Resilienz beschreibt grundsätzlich die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. In der Psychologie und ihr verwandten Disziplinen bedeutet Resilienz die Fähigkeit, Krisen durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.

Die Resilienzforschung ist innerhalb der Psychologie eine ganz junge Disziplin und ihr Beginn lässt sich mit einiger Sicherheit festmachen an einer amerikanischen Arbeit aus dem Jahre 1983, der sich dann ein Wechsel in der Betrachtungsweise von Menschen in der Krise anschloss. Dieser Wechsel bestand darin, dass man nicht mehr nur nach den therapeutischen Möglichkeiten fragte, fremden Menschen in Krisensituationen oder nach traumatisierenden Erlebnissen zu helfen, sondern vielmehr das Augenmerk auf die autonomen Kräfte des Betroffenen (Probanden) richtete. Wenn man also unter Resilienz die personalen Kräfte eines Menschen versteht, Krisen im Verlauf des Lebenszyklus eigenständig zu meistern, dann bietet sich König Fried­rich II. als ein überzeugendes Beispiel eines resilienten Charakters an.

Resilienz ist bis zu einem gewissen Grade erblich. So dürfte Fried­richs Großmutter Sophie Charlotte die bis zu seiner Geburt mit Sicherheit geistig hervorragendste und nach allem, was man weiß, auch die charakterlich ausgeglichenste Person im Hause Hohenzollern gewesen sein. Auf dieser genetischen Grundlage entwickelte Friedrich bereits im frühen Kindesalter eine Disposition, die ihn in die Lage versetzte, die prekären Situationen im Elternhaus auszuhalten. Die gegenwärtige Forschung untersucht resilientes Verhalten von Kindern, bei denen wenigstens ein Elternteil alkoholabhängig ist. Nun soll hier keineswegs behauptet werden, der Vater Friedrichs, König Fried­rich Wilhelm I., sei alkoholabhängig gewesen, obwohl die Exzesse im abendlichen Tabakskollegium möglicherweise einen Hinweis darauf zu liefern geeignet sind. Aber sein tägliches Verhalten im Umgang mit seiner Familie dürfte durchaus ähnliche Züge aufgewiesen haben, denn die nachweislich vorhandene Porphyrie, eine Stoffwechselerkrankung, die zu Misstrauen, Verfolgungswahn, Eifersucht und unkontrollierten Wutausbrüchen führt, stellte eine ständige situative Bedrohung seiner Umgebung dar, wobei die Unberechenbarkeit der Stimmungswechsel beim Vater, die in der genetischen Anlage vorhandenen positiven Eigenschaften des Sohnes noch stärkten. Resiliente Kinder wachsen bei existenzieller Bedrohung. Es verstärken sich Eigenschafen wie Selbstvertrauen und individuelle Identität bei gleichzeitiger Zunahme intelligenten Verhaltens und der Ausbildung musischer Begabung. Geradezu klassisch sind die Erkenntnisse der modernen Forschung auf den Kronprinzen anzuwenden, wenn erkannt wird, dass es für das Heranwachsen solcher Art bedrohter Kinder hilfreich ist, wenn sie kommunikativen Umgang mit nahestehenden Personen haben. Das war in erster Linie seine Schwester Wilhelmine. Sie war in ähnlicher Weise wie der etwas jüngere Bruder in ihrer Entwicklung dadurch geprägt, die unvorhersehbaren gewalttätigen Exzesse des Vaters auszuhalten und ihnen zu widerstehen. Der Briefwechsel der Geschwister weist die enge Verbindung und das sich gegenseitige Stützen in genügendem Maße aus. Beide Kinder gemeinsam entwickelten Strategien zur Bewältigung familiärer Krisen, wobei die musikalische Intensität signifikant war.

Eine weitere in der Literatur weniger beachtete Bezugsperson des Kronprinzen dürfte sein Lehrer Jaques Égide Duhan de Jandun gewesen sein. Duhan, der seit dem 31. Januar 1716 der „Präzeptor“ des kleinen Friedrich war, wurde zum Glücksfall für die Entwick­lung des künftigen Königs insofern, als er gerade die individuellen Merkmale seines Zöglings förderte, die diesen in die Lage versetzten, seine psychische und geistige Kompetenz weiter auszubilden. Dadurch war Fried­rich in der Lage, auch nachdem Duhan aufgrund des zunehmenden Misstrauens des Vaters aus der Umgebung des Kronprinzen entfernt worden war, seine autodidaktischen Fähigkeiten zu vervollkommnen. Zwei weitere einschneidende Ereignisse dokumentieren das Vorhandensein seiner resilienten Fähigkeiten in exemplarischer Weise. Das eine war der Versuch des Kronprinzen, am 5. August 1730 aus Preußen und damit dem Machtbereich seines Vaters zu fliehen, mit dem schrecklichen Ergebnis, dass sein Freund, der Leutnant Hans Hermann von Katte, hingerichtet wurde; das andere war die verheerende und selbstverschuldete Niederlage seiner Armee bei Kunersdorf am 12. August 1759. Resilientes Verhalten bedeutet nicht, dass die betroffene Person nicht erschüttert werden könnte oder sich einen seelischen Panzer zugelegt hätte, der alles abprallen ließe. Die persönliche Betroffenheit war ja nach Kunersdorf bei Friedrich der Fall und insofern ist die Tatsache, dass der König an Selbstmord dachte, was ja für seine Sensibilität spricht, nicht ungewöhnlich. Aber ein resilienter Charakter zerbricht nicht an seinem Ungemach, sondern bewältigt die Krise und wächst an seiner selbstgestellten Aufgabe.            Jürgen Ziechmann


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