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20.08.11 / Türkische Wirtschaft überhitzt / Der Aufschwung könnte schon bald zu Ende sein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-11 vom 20. August 2011

Türkische Wirtschaft überhitzt
Der Aufschwung könnte schon bald zu Ende sein

Regelmäßige Zuwachsraten in der Wirtschaft zwischen sieben und acht Prozent – das sind Erfolgszahlen, mit denen sich offizielle Vertreter der Türkei gern schmücken. Auch für die Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei ist die wirtschaftliche Dynamik des Landes inzwischen zum Standard­argument geworden. Weniger beachtet werden Wirtschaftsdaten, die Zweifel an der Nachhaltigkeit des türkischen Wirtschaftsmodells wecken. Bereits mittelfristig könnte auch der türkischen Wirtschaft ein Absturz drohen. Befeuert wird der aktuelle Wirtschaftsboom vor allem durch zahlreiche kurzfristige Auslandsverbindlichkeiten und einen regelrechten Konsumrausch.

Argumente für Investoren, ihre kurzfristigen Engagements zu überdenken, gibt es inzwischen mehr als genug. Fraglich ist zum Beispiel, wie lange noch die hohen Zuwachsraten bei der privaten Verschuldung aufrecht erhalten werden können. Aufgrund einer inzwischen fast wahllosen Kreditvergabe hat sich eine regelrechte Kreditblase gebildet. Innerhalb der letzten zwölf Monate gab es bei den Gesamtkrediten einen Zuwachs um 35 Prozent. Die reinen Konsumentenkredite legten sogar um 42 Prozent zu. Der kreditfinanzierte Konsum macht sich inzwischen immer mehr in einer negativen Handelsbilanz sichtbar. Während die Dynamik der Ausfuhren nachlässt, wird immer mehr importiert. So legten die Einfuhren von Januar bis Mai um stattliche 44 Prozent zu. Das Defizit in der Leistungsbilanz ist so inzwischen auf neun Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen. Gleichzeitig verfällt der Wert der türkischen Lira gegenüber dem Euro zunehmend.

Was in anderen Fällen die Exporte unterstützt, funktioniert im türkischen Fall nicht. Die Ausfuhren hinken den Einfuhren immer stärker hinterher. Ein Grund dürfte die geringe industrielle Basis des Landes sein. 60 Prozent der Wirtschaftsleistung entstehen im Dienstleistungssektor. Langfristige Investitionen, mit denen die industrielle Basis des Landes vergrößert wird, bleiben immer noch die Ausnahme. Vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, das sich unlängst mit der türkischen Wirtschaft befasst hat, wird die sehr geringe Investitionsquote als einer der Schwachpunkte des türkischen Wirtschaftsmodells erkannt. Demnach wird ein viel zu hoher Anteil des Kapitals konsumiert, während zum Beispiel die Investitionen in Infrastruktur und Bildung viel zu gering sind. Der Bevölkerungsreichtum des Landes droht so, eine Last zu werden, statt eine demografische Dividende abzuwerfen.

Trotz zunehmender Überhitzung der Wirtschaft, einer Inflationsrate um acht Prozent und einer immer stärkeren Überschuldung der Privathaushalte scheint die türkische Zentralbank die Kreditvergabe nicht ernsthaft einschränken zu wollen. Anfang August verkündete Zentralbankchef Erdem Basci, dass die Bank den Leitzins sogar noch einmal um 0,5 Prozentpunkte nach unten setzt. Damit kann der Kreditboom zunächst einmal weitergehen. Die Gefahr ist damit allerdings groß, dass sich ein Szenario wie im Jahr 2001 wiederholen wird. Ausgelöst durch ein aus dem Ruder laufendes Leistungs- und Handelsdefizit, löschte eine schwere Wirtschaftskrise damals einen Großteil des türkischen Banksystems aus. Hermann Müller


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