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20.08.11 / Blauer wird’s nicht / Oberbayern feiert den 100. Geburtstag des »Blauen Reiter« mit zahlreichen Ausstellungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-11 vom 20. August 2011

Blauer wird’s nicht
Oberbayern feiert den 100. Geburtstag des »Blauen Reiter« mit zahlreichen Ausstellungen

Die Künstlergruppe „Blauer Reiter“ gilt als eine der bedeutendsten Vereinigungen der Klassischen Moderne. Vor 100 Jahren wurde sie gegründet.

Die berühmteste Gartenlaube der Kunstgeschichte steht in Sindelsdorf. Dort am Kaffeetisch erfanden im Spätsommer 1911 Franz Marc (1880–1916) und Wassily Kandinsky (1866–1944) den Namen „Der blaue Reiter“ für ihre Kunstprojekte. An ihnen beteiligten sie weitere Künstler. Am 18. Dezember 1911 fand in der Münchener Galerie Thannhauser dann die erste Ausstellung des Blauen Reiter statt, die zweite folgte im Februar 1912 in der Galerie Goltz. Als eine der bedeutendsten Programmschriften der Klassischen Moderne gilt schließlich der im Mai 1912 veröffentlichte Almanach „Der Blaue Reiter“.

Marc lebte damals mit seiner späteren Gattin Maria (1876–1955) in Sindelsdorf, Kandinsky mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Münter (1877–1962) im benachbarten Marktflecken Murnau. Diese Gegend im Voralpenland wurde von Marc „Das blaue Land“ genannt – und vermarktet sich inzwischen unter diesem Etikett. Zum 100. Geburtstag des Blauen Reiter wird mit Sonderausstellungen aufgetrumpft. Murnau präsentiert „Die Maler des Blauen Reiter und Japan“. In Penzberg heißt es „Heinrich Campendonk – Ein blaues Leben“. Bernried zeigt „Die Blaue Brücke“.

Münchens Pinakothek der Moderne stellt anhand einer Auswahl von Spitzenwerken die berühmtesten Akteure des Künstlerkreises vor. Der für seine Tierbilder geliebte Marc ist mit den in kubistischer Manier zerlegten „Rindern I“ (1913) vertreten. Reichlich sendungsbewusst erklärte er seine Bilder und die seiner Mitstreiter zu Symbolen, „die auf die Altäre der kommenden geistigen Religion gehören“. Ähnlich äußerte sich Kandinsky: Auftrag der Kunst sei „das Aufbauen des seelisch-geistigen Lebens“. Kandinsky gilt als einer der Väter der abstrakten Kunst. Auf dem Weg dahin ist seine „Träumerische Improvisation“ (1913): Sie zeigt farbige Punkte und Flecken im zeichenhaft angedeuteten Hochgebirge. August Macke (1887–1914) lag das malerische „Durchfreuen der Natur“ am Herzen, wie schlicht und einfach schön das Gemälde „Mädchen unter Bäumen“ (1914) zeigt. Der Russe Alexej Jawlensky (1864–1941) schließlich, berühmt für seine farbintensiven und ausdrucksstarken Bilder von Köpfen, ist mit „Länglicher Kopf in Braunrot“ (1913) vertreten.

Jawlensky trifft man in Bernried wieder. Im dort malerisch am Starnberger See gelegenen Buchheim-Museum ist ihm und dem zum Umkreis des Blauen Reiter gehörenden Lyonel Feininger (1871–1956) die Schau „Die Blaue Brücke“ gewidmet. Der Titel geht auf ein Aquarell Feiningers von 1920 zurück: Über die blaue Himmelsbrücke, durch deren Bogen man eine rosarote Kathedrale sieht, dampft eine altertümliche Lokomotive.

Den Hang zur guten alten Zeit teilte Feininger mit Kandinsky. Das offenbart die Murnauer Sonderschau „Perlenstickereien und Textilarbeiten“. Nach Kandinskys Entwürfen bestickte Gabriele Münter etwa ein Handtäschchen mit zwei spazierenden Damen im Reifrock (1905). Gezeigt wird die Schau im am Ortsrand gelegenen „Münter-Haus“. Dort verbrachte das Künstlerpaar von 1909 bis 1914 die Sommermonate. Ausgestattet ist es mit einigen ihrer Gemälde und Grafiken sowie der von beiden gesammelten Volkskunst.

Das Murnauer Schlossmuseum verfügt mit mehr als 70 Gemälden, Hinterglasbildern und Grafiken über die umfangreichste öffentliche Sammlung der Werke Gabriele Münters. Eine Sonderschau macht darauf aufmerksam, dass Kandinsky, Macke, Jawlensky und insbesondere Franz Marc japanische Farbholzschnitte und Kleinkunst gesammelt und deren Anregungen in ihrem Werk verarbeitet haben. Aus Marcs Sammlung ist zum Beispiel das Malerlehrbuch von Takeuchi Seiho ausgestellt. Marcs Gouache „Roter Stier“ (1912) und sein Aquarell „Blaues Reh in Landschaft“ (1913/14) weisen in ihrer ausdrucksstarken Formvereinfachung eine gewisse Verwandtschaft mit Katsushika Hokusais Tierdarstellungen auf.

Auf Marcs Einladung ließ sich Heinrich Campendonk (1887–1957) in Sindelsdorf nieder. Fast täglich begab sich der ins nahe Bergarbeiterstädtchen Penzberg. Eines der Arbeiterwohnhäuser ist zum Stadtmuseum umgebaut worden. Es verfügt über 140 Werke Campendonks. Eine mit Arbeiten aus internationalen Sammlungen bestückte Sonderschau stellt unter dem Titel „Ein blaues Leben“ alle Schaffensphasen vor.

Das Werk Campendonks zeichnete sich zur Zeit des Blauen Reiter durch ländliche Motive, Erotik, Tragik und grotesken Humor aus. Auch christliche Motive spielten eine gewichtige Rolle, wie das Gemälde „Grüner Kruzifixus in Bay. Landschaft“ (um 1913) veranschaulicht.

Im Stadtmuseum Penzberg befindet sich das einzige künstlerische Dokument der Begegnung des Blauen Reiter mit der Künstlergemeinschaft „Brücke“: Ernst Ludwig Kirchners Aquarell (1912) von Franz und Maria Marc. Das Paar ließ sich 1914 in Ried bei Kochel am See nieder.

Von da geht es in Serpentinen bergauf zum Kocheler Franz-Marc-Museum. Dort ist Paul Klee (1879–1940), der sich an der zweiten Ausstellung des Blauen Reiter beteiligte, eine Sonderschau gewidmet. Die Dauerausstellung des in spektakulärer Naturkulisse errichteten Mu-seums zeigt Bilder der Künstler des Blauen Reiter. Die Hauptrolle aber spielt Franz Marc mit Werken aus allen Schaffensphasen. Publikumsliebling ist Marcs „Eselsfries“, entstanden im Geburtsjahr des Blauen Reiter. Das Gemälde verbreitet gute Laune: Nicht nur, weil die gleichförmig von rechts nach links durchs Bild ziehenden Esel ein strahlend violettes Fell haben, sondern auch, weil ein Exemplar eigensinnig aus der Reihe tanzt und eine Kehrtwendung macht.   Veit-Mario Thiede


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