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20.08.11 / Mit acht Schüssen niedergestreckt / Vor 90 Jahren fiel der Zentrumspolitiker und vormalige Vizekanzler Matthias Erzberger einem Attentat zum Opfer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-11 vom 20. August 2011

Mit acht Schüssen niedergestreckt
Vor 90 Jahren fiel der Zentrumspolitiker und vormalige Vizekanzler Matthias Erzberger einem Attentat zum Opfer

Die Tat geschah vor 90 Jahren, am Morgen des 26. August 1921 gegen 11.05 Uhr. Diese Zeit zeigte zumindest die durch die Gewalteinwirkung stehengebliebene Uhr des Tatopfers an. Das Opfer war der vormalige Vizekanzler und Finanzminister des Deutschen Reiches Matthias Erzberger. Als Unterzeichner des Waffenstillstandes von Compiègne und einer der exponiertesten und radikalsten Vertreter der sogenannten Erfüllungspolitik gehörte er seinerzeit zu den bestgehassten Politikern seines Landes.

In jenem Sommer machte Erzberger mit Frau und Kind Urlaub im Kurort Bad Griesbach im Schwarzwald. Dort versuchte der Zentrumspolitiker sich vom politischen Kampf in Berlin zu erholen und für neue Kämpfe zu wappnen. Beim Frühstück im von katholischen Schwestern bewirtschafteten Kurheim bekam die Familie Besuch von Erzbergers badischem Freund und Fraktionskollegen im Reichstag Carl Diez. Gegen 9.30 Uhr machten sich die beiden auf zu einem Spaziergang. Erzbergers Ehefrau blieb zurück, um die Koffer zu packen für die Abreise, die für den folgenden Tag geplant war.

Sich angeregt dabei unterhaltend, gingen die beiden Reichstagsabgeordneten die Landstraße hinauf zum Kniebis. Dabei wurden sie von zwei jüngeren Männern überholt, die grußlos an ihnen vorbeizogen. Auf Höhe der Grandecker Hütte bei Straßenkilometer 15 machten die beiden Politiker kehrt, um rechtzeitig zum Mittag­essen zurück zu sein. Als sie 900 Meter zurückgegangen waren, bemerkte Diez, dass die beiden jungen Männer ihnen abermals folgten. Dann benutzten diese jedoch einen Stichweg als Abkürzung, um urplötzlich mit je einem Revolver in der Hand vor den beiden Politikern aufzutauchen.

Sie haben es auf Erzberger abgesehen, richten ihre Waffen gegen dessen Stirn und Brust und drücken ab. Als Diez versucht, mit seinem Regenschirm auf die Täter einzuschlagen, wird er mit einem Schuss niedergestreckt. Das Projektil durchschlägt seinen Oberarmknochen und bleibt nahe der Wirbelsäule in der Lunge stecken. Währenddessen versucht Erzberger, den Abhang hinunter zu fliehen. Doch mit seinen Verletzungen kommt er nicht weit. 30 Meter die Böschung hinab vollenden die Attentäter ihre blutige Tat. Sie wollen sicher gehen und geben auf den wehrlosen Angeschossenen weitere Schüsse aus unmittelbarer Nähe ab. Nachdem die Täter geflohen sind und er selber sich berappelt hat, kann Diez nur noch den Tod seines auf den Wurzeln einer Tanne liegenden Gefährten feststellen.

Die spätere Obduktion ergab, dass Erzberger von acht Schüssen getroffen wurde. Davon waren alleine drei jeder für sich tödlich. Zwei Projektile drangen in den Kopf ein, wobei sie den Schädel zertrümmerten, und einer in die Brust. Daneben ging ein Prellschuss in die linke Brustseite, eine Kugel drang durch den Oberschenkel in den Leib, ein Steck- und ein Prellschuss verletzten die linke Schulter, und ein Geschoss streifte den Kopf.

Die beiden Täter verließen noch am selben Abend mit dem um 18.45 Uhr Richtung Appenweier abgehenden Abendzug den Ort der Tat. Diez konnte jedoch die Täter beschreiben. Und da diese sich verdächtig benommen hatten, waren sie auch einigen Kurgästen aufgefallen, welche seine Beschreibung vervollständigten. Die Spur führte zu zwei vorgeblichen Studenten, die als Knut Bergen aus Jena und Franz Riese aus Düsseldorf – so ihre Eintragung ins Gästebuch – im Nachbarort Oppenau im Gasthof Hirschen übernachtet hatten. Wenn die beiden sich auch rechtzeitig abgesetzt und falsche Namen verwandt hatten, so hatten sie doch fahrlässigerweise genügend Spuren hinterlassen, die zu ihrer wahren Identität führten. Es handelte sich um die ehemaligen Offiziere Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen von der Untergrundorganisation Consul.

Beiden gelang die Flucht nach Budapest, wo sie vorerst in Sicherheit waren. Ungarn weigerte sich nämlich, die beiden an Deutschland auszuliefern. Zur Begründung führten die Ungarn an, dass es kein Auslieferungsabkommen mit dem Reich gebe und die deutsche Seite sich in der Vergangenheit auch nicht sehr kooperationsbereit gezeigt habe. Tillessen floh 1925 mit einem gefälschten deutschen Pass weiter nach Spanien. Und Schulz setzte seine Flucht über Südtirol und das ehemalige Deutsch-Südwestafrika nach Guinea fort.

Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten übernahmen am 30. Januar 1933 Feinde Erzbergers die Regierung in Berlin. Adolf Hitler sorgte dafür, dass auch Tillessen und Schulz in den Genuss der Straffreiheits-Verordnung des Reichspräsidenten vom 21. März 1933 kamen. Im selben Monat kehrte Schulz nach Deutschland zurück. Er wurde in die SS aufgenommen, wo er es bis zum Obersturmbannführer brachte, was einem Oberstleutnant/Fre­gat­ten­ka­pi­tän bei der Wehrmacht entspricht. Dabei gehörte zu seinen Aufgaben unter anderem der Aufbau des „Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS“ (SD) in München. Angeblich aus Heimweh, war Tillessen schon kurz vor der „Machtergreifung“, nämlich Weihnachten 1932, unter falschem Namen nach Deutschland zurück­gekehrt, wo er bei seinem Bruder Unterschlupf fand. Im Gegensatz zu Schulz machte Tillessen nach dem Erlass der präsidialen Straffreiheits-Verordnung nicht bei der SS oder einer anderen NS-Organisation Karriere, sondern führte ein eher unpolitisches, ziviles, bürgerliches Leben. So bestritt er zeitweise seinen Lebensunterhalt als Angestellter des Norddeutschen Lloyd in Bremen. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges tat Tillessen wie schon im Ersten Weltkrieg bei der Marine Dienst. Wenige Monate vor Kriegsende wurde er aus gesundheitlichen Gründen im Range eines Korvettenkapitäns entlassen.

Nach 1933 wendete sich 1945 abermals das Blatt in Deutschland. Nun waren wieder die Erzberger-Freunde an der Macht. Die US-Besatzungsmacht ordnete Tillessens Verhaftung an. Genau ein Vierteljahrhundert nach der Bluttat vom 26. August 1921 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn vor der Strafkammer des Landgerichts Offenburg. Mit Datum vom 13. September des Jahres lehnte jedoch die Kammer die Eröffnung einer Hauptverhandlung unter Hinweis auf die Straffreiheits-Verordnung von 1933 ab. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hiergegen hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht Freiburg ordnete die Eröffnung eines Verfahrens vor dem Landgericht Offenburg an. Die Offenburger Strafkammer blieb sich jedoch treu. Und am 29. November wurde das Verfahren unter abermaligem Hinweis auf die Straffreiheits-Verordnung eingestellt.

Ungeachtet des westlichen Ideals der Unabhängigkeit der Judikative griff nun die Besatzungsmacht ein. So wie 1938 Martin Niemöller von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht worden war, nachdem das Sondergericht in Berlin-Moabit ihn auf freien Fuß gesetzt hatte, wurde nun Tillessen nach der Einstellung des Verfahrens von der Sureté verhaftet und in ein französisches Internierungslager verbracht. Außerdem wurde der Vorsitzende der Offenburger Strafkammer abberufen und in den Ruhestand versetzt. Der antinationalsozialistische Chef der deutschen Justizverwaltung in der französischen Zone Badens trat daraufhin aus Protest zurück.

Davon zeigte sich die Besatzungsmacht indes wenig beeindruckt. Ihr Tribunal Général in Rastatt zog den Fall an sich, erklärte die Straffreiheits-Verordnung für irrelevant, hob das Offenburger Urteil auf und verwies den Fall an das Landgericht Konstanz, von dem die Franzosen die gewünschte Verurteilung Tillessens erhielten. Der Deutsche wurde am 28. Februar 1947 wegen Mordes und Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Schulz, der ebenfalls bei Kriegs­ende in die Gewalt der Sieger fiel, wurde von der US-Besatzungsmacht 1949 der deutschen Justiz überantwortet, die ihm 1950 den Prozess machte. Das Schwurgericht des Landgerichts in Offenburg verurteilte ihn am 19. Juli 1950 wegen Totschlags zu zwölf Jahren Haft. Schulz profitierte dabei davon, das Tillessen, der nichts mehr zu verlieren hatte, als Zeuge den damaligen Komplizen entlastete. Die beiden Reue zeigenden Täter saßen die volle Strafe nicht ab, wurden vielmehr bereits 1952 wieder auf freien Fuß gesetzt – und fristeten danach ein mehr oder weniger unauffälliges Leben.  Manuel Ruoff


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