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27.08.11 / Kampf der Erzrivalen / Opposition im Gefängnis − Ikone der Orangenen Revolution spaltet die Gemüter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-11 vom 27. August 2011

Kampf der Erzrivalen
Opposition im Gefängnis − Ikone der Orangenen Revolution spaltet die Gemüter

Würde der amtierende ukrainische Präsident Viktor Janukowtisch so weit gehen, sich mittels Giftanschlags seiner schärftsten Widersacherin Julia Timoschenko zu entledigen? Das mag niemand in der Ukraine so recht glauben, obwohl es dem Präsidenten in ausländischen Presseberichten unterstellt wird. Oder ist es einmal mehr ein geschickter Schachzug der „Gas-Lady“ und ihrer Umgebung, Mitleid zu erzeugen und Janukowitsch  öffentlich vorzuführen?

Spätestens seit bekannt wurde, dass Timoschenko, die seit Anfang August wegen Amtsmissbrauchs in Untersuchungshaft sitzt, an einer unbekannten Krankheit leidet und ihr eine Untersuchung durch einen Arzt ihres Vertrauens verweigert wurde, ist der Fall auch außerhalb der Ukraine ins Visier des politischen Interesses gerückt. Nicht nur EU-Beobachter und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schauen genau hin, auch der Internationale Fußballverband FIFA erwägt bereits, die Ukraine von der Austragung der Fußball-Europameisterschaft auszuschließen. Alles deutet darauf hin, dass der pro-russische Janukowitsch zum Vernichtungsschlag gegen die Opposition ausholt. Seit dem Machtwechsel 2010, bei dem Timoschenko ihm nur knapp unterlegen war, verfolgt der Präsident einstige Regierungsmitglieder der „Orangenen Revolution“. Die Hälfte sitzt bereits in Haft oder ist davon bedroht. Der Vorwurf an alle lautet gleich: Korruption.

Timoschenko wird im aktuellen Verfahren Amtsmissbrauch vorgeworfen, weil sie während der Gaskrise 2009 den von Moskau diktierten erhöhten Preisen für Gaslieferungen in die Ukraine zugestimmt hat. Sie habe ihrem Land einen Schaden in Höhe von 220 Millionen Euro zugefügt, lautet die Anklage. Zehn Jahre Haft drohen. Dass die damalige Außenministerin unter Druck stand und gar nicht anders handeln konnte, bestätigt nun ausgerechnet Timoschenkos Intimfeind Russland. Das russische Außenministerium teilte mit, dass „alle 2009 vereinbarten Gasabkommen in strikter Übereinstimmung mit der nationalen Gesetzgebung beider Staaten ... beschlossen“ wurden.

Janukowitschs Vernichtungsschlag könnte sich als Bumerang erweisen und das Land weiter in das pro-westliche Timoschenko- und das pro-russische Janukowitsch-Lager spalten. Letzter Tage zitierten die Behörden auch Ex-Präsident Viktor Juschtschenko als Zeugen vor Gericht. Als der sich weigerte, auszusagen, wurde ihm Strafe angedroht. Er wurde zu einem weiteren Termin geladen, will aber nicht gegen Timoschenko aussagen. Mitleid mit Timoschenko könnte die Stimmung im Lande kippen lassen. Laut Umfragen sind 30 Prozent der Bevölkerung dafür, sie freizulassen, 30 dagegen und dem Rest ist es egal. Sollte es dem verbliebenen Anhängern der Partei „Block Julia Timoschenko“ gelingen, weiter Stimmung für sie zu machen, wird für Janukowitsch jede Entscheidung schwer. Der Präsident steckt in der Zwickmühle. Bleibt Timoschenko im Gefängnis, zieht Jankukowitsch weiter den Unmut des Westens − unter den Millionen Wirtschafts-Emigranten dürften sich viele enttäuschte Anhänger der Orangenen Revolution befinden − auf sich, lässt er sie frei, wird dies seine Freunde in der „Partei der Regionen“ ärgern, hier vor allem den Hauptsponsor der gegenwärtigen Regierung Rinat Achmetow. Der Oligarch ist zugleich Timoschenkos Konkurrent als Zulieferer der ukrainischen Landwirtschaft. Achmetow kontrolliert große Teile der ostukrainischen Donbass-Region. Seit Juli 2010 ist er der größte Stahlhersteller in der  ehemaligen Sowjet­union, seit 2011 hat er seine Geschäfte auf die Landwirtschaft ausgedehnt. M. Rosenthal-Kappi

Foto: Demokratie „auf ukrainisch“: Konflikte werden im Parlament notfalls mit Fäusten ausgetragen

 

Zeitzeugen

Bogdan Chmielnitzki – Der Kosakenführer gilt als ukrainischer Nationalheld. Er kämpfte für den Erhalt der überkommenen Privilegien der Kosaken, darunter die Steuerfreiheit und die paramilitärische Lebensweise. Sein Aufstand gegen die Herrschaft der polnisch-litauischen Rzeczpospolita in den Jahren 1648 bis 1654 führte im Ergebnis zu einer Ausdehnung des russischen Machtbereichs bis nach Kiew und an den Dnepr.

 

Michajlo Hruschewskij – Führender Kopf der ukrainischen Nationalbewegung und erster Präsident der Ukrainischen Volksrepublik. Rief im Januar 1918 nach der Schwächung Russlands im Ersten Weltkrieg den ersten ukrainischen Nationalstaat der Moderne auf dem Gebiet des Zarenreiches aus. Eine Exilregierung der Volksrepublik existierte noch bis August 1992 in München.

 

Julia Timoschenko – Die Wirtschaftswissenschaftlerin war ab 1991 in einem eigenen Erdölunternehmen tätig. Von 1995 bis 1997 führte sie gemeinsam mit ihrem Mann den Energiekonzern EESU mit guten Beziehungen zu Russland. Die vormalige Ikone der „Orangenen Revolution“ und zweimalige ukrainische Ministerpräsidentin aus Dnipropetrowsk sitzt heute unter der Präsidentschaft Janukowitschs in Untersuchungshaft. Die vom gegnerischen Lager gegen sie gerichteten Vorwürfe lauten auf Amtsmissbrauch und Veruntreuung öffentlicher Gelder.

 

Viktor Janukowitsch – Der Präsident der Ukraine stammt aus dem industriell geprägten Osten. Jahrgang 1950, ist er um zehn Jahre älter als seine Widersacherin Timoschenko. Seine Mutter starb, als er zwei Jahre alt war. 20 Jahre lang war er Direktor sowjetischer Kombinate. Seine Volksnähe macht ihn im Donezbecken zum Volkstribun. Als Präsident emanzipierte er sich von Moskau. Für die  Ukraine strebt er einen block­freien Status an.

 

Viktor Juschtschenko – wird 1954 in eine Lehrerfamilie hineingeboren. Von Dezember 1999 bis Mai 2001 war er Ministerpräsident  und von Januar 2005 bis Februar 2010 Präsident der Ukraine. Er gilt als wenig durchsetzungsfähiger Schöngeist, der ukrainische Klassiker rezitiert und Bienen züchtet.


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