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03.09.11 / Das Gütesiegel Bayreuth muss bewahrt werden / Regisseure und Bühnenbildner toben sich nicht nur an Wagner-Opern aus – Das Werk darf optisch nicht mehr erkennbar sein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-11 vom 03. September 2011

Das Gütesiegel Bayreuth muss bewahrt werden
Regisseure und Bühnenbildner toben sich nicht nur an Wagner-Opern aus – Das Werk darf optisch nicht mehr erkennbar sein

Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Sachen gibt – mir liegt einzig daran, dass man sie so gibt, wie ich’s mir gedacht habe. Wer das nicht will oder kann, der soll’s bleiben lassen! Das ist meine ganze Meinung“, schrieb Wagner an F. Heine.

Die Magie Bayreuths beginnt zu verblassen. Noch zieht der Hügel wie ein Magnet seit weit über 100 Jahren das Publikum in seinen Bann. Noch ist ein Festspielbesuch in Bayreuth für viele Musikliebhaber ein hochwillkommenes Geschenk. Noch ist der äußere Rahmen unverändert. Aber in den vergangenen zehn Jahren hat eine Zeitenwende stattgefunden: Es ist ein anderes Bayreuth entstanden.

Nun hört man, dass dies auch schon mindestens einmal, vor über 50 Jahren der Fall war: Mit dem Umbruch Bayreuths durch Wieland und Wolfgang Wagner. Also doch nichts anderes als ein weiteres „Neu-Bayreuth“?

Zwischen der Regie und Inszenierung bis zum Krieg und der Regie und Inszenierung der Brüder Wagner gibt es einen essenziellen Unterschied, und dasselbe nochmals zwischen der Werksauffassung der Wagnerenkel und der Auffassung Chereaus in seiner Ringproduktion. Es wurden jedoch nie die Grenzen zur Lächerlichkeit und zur Peinlichkeit überschritten. Die Regisseure setzten sich ernsthaft mit dem Werk auseinander, Wagners Pandämonium wurde nicht zum Panoptikum, in dem man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt, oder noch schlimmer: in dem man das Werk nur mehr an der (noch unveränderten) Musik erkennt. Statt Ästhetik und Schlüssigkeit, Hässlichkeit und permanenter Erklärungsnotstand.

Bayreuth verliert sein Gütesiegel – es wird mehr und mehr zu einem Jahrmarkt der Beliebigkeiten: Jeder macht, was ihm gerade so einfällt.

Man nehme da nur den „Tannhäuser“ in der Regie von Sebastian Baumgarten und mit dem Bühnenbild von Joep van Lieshout. Die Handlung ist zwar leicht verständlich, aber schwer begreiflich: Warum soll man ausgerechnet für Lustgewinn ewig büßen, worin liegt die Schuld? Das ist an sich schon schwer zu vermitteln – Wagner selbst stand wohl nicht so ganz hinter der Geschichte, und seine doch recht prüde Zeit auch nicht. Schon gar nicht ist ein Zugang heute, in einer Zeit grenzenloser Freizügigkeit möglich. Deshalb muss gerade „Tannhäuser“ eine Deutung und Umdeutung erfahren. Archetypische Aussagen wie etwa im „Ring“ – Liebe, Hass, Gier – sind hier wohl nicht möglich. Man kann fokussieren auf Elisabeth: von der allgemeinen Moral zur personenbezogenen Aussage. Nur im Verhältnis zu Elisabeth „sündigt“ Tannhäuser. Das haben Regisseure oft genug, und sehr gut gemacht. Um originell zu sein, muss mehr dazukommen.

Da ist der Ansatz, Nietzsches fundamentalen Gegensatz „apollinisch – dionysisch“ aufzugreifen, wie im Programmheft zu lesen ist; durchaus eine sehr interessante Perspektive. Aber Nietzsche ist Philosoph, und nicht Dramatiker, das heißt sein Gedankengebäude ist nicht ohne Weiteres umsetzbar. Und genau diese Umsetzung hat hier nicht stattgefunden. Denn wie soll man, beim bestem Willen, diese Polarität zwischen Formengebundenheit und hedonistischer, absoluter Formenfreiheit, zwischen Prinzip und Prinzipienlosigkeit in einer überdimensionalen Biogasanlage erkennen?

Was trägt ein kaum identifizierbarer Film, der auf der Rückwand des Kraftwerks abläuft, dazu bei? Oder ein kaum überschaubares Durcheinander von Personen, die man nur an der musikalischen Aussage als Ritter oder Pilger erkennt? Was soll der Unfug, die Bühne vor dem Anfang und in den Pausen offen zu lassen, so dass man das heillose Wirrwarr da vorne noch länger sehen kann – und am Beginn glauben muss, die herumlaufenden Arbeiter des Kraftwerks sind mit dem Bühnenaufbau nicht fertig geworden? Daneben gegangen, wohin man auch blickt!

Der Eindruck, den man heute ganz allgemein bei Neuinszenierungen auf den Bühnen der Welt hat, wird auch hier bestätigt. Kriterien der Zulassung zur Regie sind offenbar: Das Werk darf optisch nicht mehr erkennbar sein, nur noch an der Musik – Bühnenbild und Kostüme müssen möglichst hässlich sein. Die Personenregie soll soweit wie möglich gegen die Musik stattfinden. Daher sind Regisseure, die Musik im Allgemeinen und Wagner im Besonderen nicht mögen, gesucht.

Die Festspielleitung ist gefordert: Es gilt, das Gütesiegel Bayreuth zu verteidigen. Wer heute zum ersten Mal in Wagner- oder andere Bühnenwerke geht, wer damit anfängt, weil er ganz jung ist oder sie eben erst entdeckt hat, lernt praktisch nur diese Art von „Inszenierungen“ kennen, in München und Wien, in Paris und Brüssel, in Zürich und Salzburg, und jetzt auch in Bayreuth. Er lernt also nur eine – schlechte, weil es ihr an echtem Witz mangelt – Parodie kennen, und daher wird er nicht merken, wenn er nicht wirklich musikalisch ist, dass da etwas faul ist. Je nach Veranlagung wird dem einen nur mehr ein schaler Geschmack zurückbleiben, dem andern die Lust auf Oper ganz vergehen. Das ist schade. So erscheint einem die Vorbereitung der Kinder auf Wagner in Bayreuths Kinderaufführungen plötzlich in einem ganz anderen Licht: Früh gewöhnt sich, was ein Neu-Wagnerianer werden soll. Irmgard Dremel


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