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03.09.11 / »Heil Hitler – Achtung Jude« / Antisemitische Parole in Königsberg wirft ein Schlaglicht auf die Situation der Minderheit in der russischen Exklave

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-11 vom 03. September 2011

»Heil Hitler – Achtung Jude«
Antisemitische Parole in Königsberg wirft ein Schlaglicht auf die Situation der Minderheit in der russischen Exklave

Mit der auf Deutsch geschriebenen Parole „Heil Hitler – Achtung Jude“ wurde am 16. August in Königsberg, Oktjabrskaja-Straße 3, eine russisch-hebräisch-deutsche Tafel mit den Worten „Zum Gedenken an die Juden, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind“ beschmiert.

David Schwedik, 1963 in Rostow am Don geboren, Leiter der chassidischen Gemeinde „Chabad Ljubavic“ und Oberrabbiner der Region Königsberg, sowie sein Pressesprecher Sergej Sterlin, Chefredakteur der Königsberger „Jüdischen Zeitung Simcha“ und Direktor der Nichtregierungsorganisation „Entwicklung jüdischer Kultur im Gebiet Kaliningrad“, nahmen es resignierend hin: „Vandalenübergriffe auf historische Plätze“ sind Alltag, die „städtischen Behörden haben kein Interesse an Schutz und Erhaltung jüdischer Objekte, die Miliz lehnt Strafverfolgung als zwecklos ab.“

Der Tatort dieses Vandalenaktes war das erhaltene Waisenhaus an der früheren „Neuen Synagoge“ in der Lindenstraße, eine von sechs Königsberger Synagogen, wie es heißt, die wohl schönste in Deutschland, 1893 erbaut, im November 1938 in der „Reichskristallnacht“ zerstört. Heute steht dort der Zirkus „Chapiteau“, das benachbarte ehemalige Kinderheim ist eine schmutzstarrende Wohnkaserne ohne Anschlüsse für Wasser und Gas, für die Behörden bloß Desinteresse aufbringen, weil ihr „vetchij“ (Verfallsgrad) angeblich „nur“ 60 Prozent ausmacht.

Erhalten blieb die „Alte Synagoge“ der orthodoxen Gemeinde „Adath Israel“, die seit 1990 von Viktor Schapiro, 1956 in der Stadt geboren, geführt wird. Schapiro, im Nebenberuf Autor satirischer Chansons, kann Klagelieder von den „Fouls“ singen, die Behörden den Juden ständig versetzen, wobei er sogar die „Konkurrenz“ zu David Schwedik vergisst: Die seit Langem geforderte Rückgabe jüdischen Eigentums wird verweigert, der beabsichtigte Bau eines „Museums des Holocaust und der jüdischen Kultur“ abgelehnt. Zwar ist die Restitution von Grundstücken gesetzlich vorgesehen, aber den Juden geht es hierbei wie den Deutschen, denn das Eigentum beider Gruppen wurde der Russischen Orthodoxen Kirche überantwortet. Und Museen erhalten nur dann amtlichen Segen, wenn sie dem „Ruhm der gefallenen 1200 Rotgardisten“ und ähnlichen Heroen gelten.

Ob auf dem alten Königsberger jüdischen Friedhof Grabsteine mit „Smertj Shidam“ (Tod den Juden) verschandelt werden oder der halbe Friedhof für Starkstromleitungen aufgerissen wird, macht für Juden keinen Unterschied. Schwerer zu ertragen ist die Borniertheit postsowjetischer Betonköpfe, die „Bauplätze auf Skeletten“ verscherbeln, beispielsweise in Tilsit, wo sie 2008 einer privaten Baugesellschaft drei jüdische Friedhöfe als Gelände für Wohnungsbau übereigneten und sich um Kritik des damaligen Gouverneurs Georgij Boos und von US-Diplomaten nicht scherten. Noch dreister war 2004 Igor Kasakov, Bürgermeister von Palmnicken, als er der Privatfirma „Baltisches Lasur“ Riesengrundstücke für ein Touristenzentrum überließ, just dort, wo am 31. Januar 1945 5000 Juden aus dem KZ Stutthof an die Ostseeküste getrieben und erschossen wurden. Am 1. Februar 2011 wurde hier die „Gedenkstätte für die Opfer des Todesmarsches von Palmnicken“ eröffnet, im Beisein von Berl Lazar, Oberrabbiner Russlands, des Königsberger Gouverneurs Nikolaj Zukanov und Diplomaten aus der Bundesrepublik Deutschland, Polen und Litauen.

Offiziell leben im heutigen Königsberg 1600 Juden, real 6000. Sie sind Teil der knapp eine Million Einwohner und Teilhaber des kollektiven Mankos der Region, das Viktor Schapiro benannte: 1948 wurden die letzten Deutschen und mit ihnen die Juden vertrieben und die seitherigen Neusiedler, Russen, Juden und andere, haben keine Wurzeln in der Region und keine Bindung an sie. Die Juden sind stolz auf Prominente wie Lea Schlossberg (1928–2000), Ehefrau des ermordeten israelischen Premiers Jitzchak Rabin, die Eltern der Philosophin Hannah Arendt (1906–1975) oder die Vorfahren von Allen Koenigsberg, des späteren Weltstars Woody Allen – ganz zu schweigen vom ersten Präsidenten des deutschen Reichstags Eduard Simson (1810–1899) oder dem Begründer der industriellen Bernsteinförderung Moritz Becker (1830–1901). Man nutzt den jüdischen Kindergarten und die jüdische Schule „Or Avner“, singt im Jugendchor „Schofar“, nutzt die Kontake zu US-amerikanischen und bundesdeutschen Hilfsfonds, betrachtet Königsberg aber nur als „Sprungbrett“ in die Bundesrepublik, in die USA oder nach Isreal und empfindet genau das als „Europäertum“. W. Oschlies


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