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10.09.11 / Für europäische Augen ein Rätsel / Der Königsberger Baumeister Bruno Taut lebte einige Zeit in Japan und beschäftigte sich dort mit Kunst und Architektur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-11 vom 10. September 2011

Für europäische Augen ein Rätsel
Der Königsberger Baumeister Bruno Taut lebte einige Zeit in Japan und beschäftigte sich dort mit Kunst und Architektur

Erdbeben, Tsunamiwarnungen, havarierte Atomkraftwerke – Japan kommt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Mittlerweile hat auch die Kulturszene in Europa die Auswirkungen der Atomkatastrophe zu spüren bekommen.

Aus Angst vor atomaren Strahlen hatten Mitarbeiter der Bayerischen Staatsoper Bedenken, eine Orchester-Tournee im Herbst nach Japan mitzumachen. Die Tournee findet dennoch statt, da Ersatz aus anderen Klangkörpern gefunden wurde. Die Dresdner Philharmonie hingegen reist vorerst nicht nach Japan. Das Gastspiel soll nach Möglichkeit auf die Saison 2012/2013 verschoben werden.

In der Kunstszene hat die Ka-tastrophe ebenfalls unabsehbare Folgen getätigt. So sagte zum Beispiel das Moskauer Puschkin-Museum die Japan-Tournee der Ausstellung „300 Jahre französische Malerei“ ab. Auch die Schweiz wird Gemälde des Alpenmalers Giovanni Segantini (1858–1899) in diesem Jahr nicht wie geplant nach Japan schicken. Es ist nicht die Angst vor Erdbeben, die den Kunstaustausch verhindert, sondern vielmehr die Befürchtung vor einer möglichen Verstrahlung der Werke.

In entgegengesetzter Richtung scheint es keine Probleme zu geben. So ist bis zum 26. Oktober im Berliner Martin-Gropius-Bau eine große Hokusai-Retrospektive zu sehen. Zum ersten Mal ist dem weltweit berühmten japanischen Künstler Hokusai (1760–1849) in Deutschland eine solche Ausstellung gewidmet. Sein wohl bekanntestes Bild ist der Holzschnitt „Die große Welle bei Kanagawa“. Über 440 Leihgaben, die bis auf wenige Ausnahmen aus Japan kommen, sind in der Ausstellung zu sehen. Viele Werke Hokusais haben Japan zuvor nie verlassen. Die jetzt nur in Berlin gezeigten Bilder sind Teil einer Sammlung, für die ein neues Museum in Tokio geplant ist. Viele europäische Künstler haben sich von seinem Werk beeinflussen lassen. Japanische Kunst wurde zwischen 1860 und 1920 geradezu zur Mode in Europa und in den USA. Sie prägte sogar einen eigenständigen Begriff: „Japonismus“.

Bis heute ist japanische Kunst und Lebensart bis auf einige Ausnahmen für europäische Augen immer noch ein Rätsel. „Vielleicht kennt man in Japan mehr von westlicher Kunst als umgekehrt. Einmal liegt es an dem allzu starken Hunger der Japaner nach westlicher Kunst, sodann aber an der in Japan entsprechend stark verbreiteten Literatur über westliche Kunst“, vermutete schon 1935 der von 1933 bis 1936 in der japanischen Emigration lebende Architekt Bruno Taut aus Königsberg.

In Japan wird Taut noch heute sehr geschätzt, nicht etwa wegen seiner Bauten, denn seinem eigentlichen Beruf konnte der Architekt kaum nachgehen. Stattdessen arbeitete er als Designer und als Autor. Drei Bücher entstanden während seines Japan-Aufenthaltes: „Nippon mit europäischen Augen gesehen“, 1934 in japanischer Sprache erschienen und schließlich sogar als Schullektüre empfohlen, „Japans Kunst mit europäischen Augen gesehen“, 1936 ebenfalls in japanischer Sprache erschienen, und 1937 „Houses and People of Japan“, in englischer Sprache und nach dem Zweiten Weltkrieg in japanischer Sprache herausgekommen. 1998 erschien dieses Werk auch in deutscher Sprache unter dem Titel „Das japanische Haus und sein Leben“, 2009 folgte der erstgenannte Band, in dem Taut sich vornehmlich der Architektur seines Gastlandes widmete, in diesem Jahr nun „Japans Kunst mit europäischen Augen gesehen“. Taut beschreibt darin die Bedeutung der traditionellen Malerei, der Plastik und des Kunstgewerbes Japans, verweist aber auch kritisch auf die gedankenlose Übernahme westlicher Einflüsse. „Ich be-greife heute das Bedauern eines feingebildeten Japaners darüber, dass alle diese jungen Leute im Auslande nichts für die eigene Kunst und für das Verständnis der eigenen Meister tun und sich stattdessen nur europäische Malmanieren und -stile aneignen.“ In Hokusai, dem die Berliner Ausstellung gewidmet ist, sah Taut keine besondere Größe. Es sei ein schwerer Schlag für das Land gewesen, „eine so ungewöhnliche Begabung wie Hokusai zu haben, deren Talentfülle mit einem Vakuum an vollkommener Stillosigkeit verbunden war“, kritisierte er. „Wie schlechter Alkohol benebelte es die Köpfe. Er ,konnte‘ alles; das Alleskönnen, diese schwere kulturelle Erkrankung des modernen Japan, nahm ihren Anfang hauptsächlich durch Infektion mit Hokusai-Bazillen.“

Schon früh fühlte sich der Königsberger zur japanischen Kultur hingezogen: „Die japanische Kunst gab den Anlass dazu, einfache Gesetze der Schönheit und klare Proportionen der Form wiederzufinden, nachdem das Studium der historischen Stile infolge ihrer Unmöglichkeit, sie in Europa mit der rapide entwickelten Technik zu verbinden, nicht weiterführen konnte.“

Das Buch über Japans Kunst erschien im Oktober 1936 im Handel, eine Woche, bevor Taut in die zweite Emigration in die Türkei ging. Dort konnte er wieder seinem eigentlichen Beruf nachgehen. Etwa 20 Projekte sind in der Türkei auszumachen, die Taut als Leiter der Architekturabteilung an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul und als Chef der Bauabteilung im Unterrichtsministerium in Ankara realisierte. Bruno Taut starb am 24. Dezember 1938 in Istanbul.             Silke Osman

Bruno Taut: „Japans Kunst mit europäischen Augen gesehen“, mit einem Nachwort von Manfred Speidel, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2011, 231 Seiten mit 153 Abbildungen, Klappenbroschur, 59 Euro.


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