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10.09.11 / »Auf allerhöchsten Befehl Sr. Majestät« / Ausstellung über Cadiner Baukeramik ab 1905 im Ostpreußischen Landesmuseum

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-11 vom 10. September 2011

»Auf allerhöchsten Befehl Sr. Majestät«
Ausstellung über Cadiner Baukeramik ab 1905 im Ostpreußischen Landesmuseum

Die Anfänge Cadinens unter dem Glanz der Kaiserkrone Wilhelms II. beleuchtet noch bis zum 9. Oktober eine umfangreiche Ausstellung im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg. „Auf allerhöchsten Befehl Sr. Majestät – Cadiner Baukeramik ab 1905“ lautet ihr Titel.

Baukeramik war in der Zeit um 1900 eine für repräsentative Bauten im Stil des Historismus und des Jugendstils sehr beliebte Methode, Farbe in die Außen- und Innenfassaden zu bringen. Auch heute wird dieses Mittel wieder gern bei großen oder besonders künstlerisch gestalteten Gebäuden eingesetzt. Der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser wurde mit Bauten weltbekannt, die er durch farbige Keramik unter anderem in freien Formen überraschend fröhlich werden ließ.

Wilhelm II. hatte 1898 das Gut Cadinen erworben und ließ es in allen wirtschaftlichen Betriebsteilen als Mustergut herrichten. Wie oft in dieser Region am Frischen Haff gab es auch ein reiches Tonvorkommen, das Rohstoff für eine Ziegelei lieferte. „Von den Fabrikbetrieben nahm die Ziegelei eine Hauptstelle ein; es war daher natürlich, dass diese Fabrik ziemlich schnell aus dem primitiven Zustande, in dem sie sich bei Übernahme des Gutes befand, in eine moderne Anlage umgewandelt wurde … Die Herstellung gewöhnlicher Ziegelwaren genügte aber dem königlichen Ziegeleibesitzer nicht, er wünschte, dass auch künstlerische Waren zur Herstellung gelangten, welche unter anderen auch den Töpfern zu Tolkemit, der nächsten Stadt am Frischen Haff, die schon seit Jahrhunderten Töpferwaren hergestellt haben, in technischer sowie in künstlerischer Beziehung als Vorbild dienen können.“ So las man es in den Keramischen Monatsheften im April 1904.

Wilhelm ließ zunächst die rotfarbenen Terrakottaarbeiten herstellen, die besonders dem Geschmack der Kaiserin entsprachen. Neben Entwürfen verschiedener zeitgenössischer Künstler, an alten Stilen angelehnt, standen auch Werke italienischer Künstler der Renaissance oder solcher des Klassizismus als Vorbilder für Cadiner Stücke Pate. „Der allerhöchste Gutsherr begnügte sich aber nicht mit der Herstellung reinfarbiger Terrakotten, sondern wünschte noch eine weitergehende Verwendung des Tonmaterials zu Gegenständen, bei denen nicht allein die Form das dekorative Element bildet, sondern auch die Farbe. Dieser Gedanke sollte in die Tat umgesetzt werden in den 1905 eröffneten Majolika-Werk­stätten“, heißt es in einem Katalog Cadiner Erzeugnisse von 1907. Der Name „Majolika“ deutet darauf hin, dass es um die „Wiederbelebung“ der Technik der italienischen Keramik des 15. und 16. Jahrhundert ging.

In der Majolika-Technik wurde dann auch die dekorative Baukeramik gefertigt: „Auch auf dem Gebiet der Baukeramik haben sich die Majolika-Werkstätten betätigt: Die Reichsbankfiliale in Danzig erhielt etwa 300 Quadratmeter Kassettendecke in Majo­lika­technik nach Entwürfen von Regierungs- und Baurat Hasak und die Sparkasse in Bremen etwa 110 Quadratmeter farbiger Wandbekleidungen nach Entwürfen vom Baurat Martens. Ganz besonders ist die Majolikatechnik von dem Maler Paul Heydel gepflegt worden. Seine Arbeiten umfassen eine Zahl von Fliesenbildern, die sich zum Teil schon im Besitz privater Kreise befinden, und Kopien alter Teller und Kacheln.“

Diese Quelle aus dem Frühjahr 1907 nennt nur die frühesten Architekturen mit Cadiner Baukeramik, es kamen gerade in Berlin noch eine Reihe großer Aufträge in den Jahren bis 1914 hinzu. In den U-Bahnstationen Klosterstraße, Kaiserhof (heute Mohrenstraße) und Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) sind Cadiner Wandgestaltungen zu sehen. Die prächtigen Säle im Weinhaus Kempinski, dem Kaufhaus Wertheim oder in der Synagoge in der Fasanenstraße sind jedoch Opfer des letzten Weltkrieges geworden. Im Wiesbadener Kurhaus erlebt man noch einen vollen Raumeindruck, eine prächtige Deckengestaltung in der heutigen Filiale der Polnischen Nationalbank in Danzig oder ein großes Wandfliesengemälde Kaiser Wilhelms II. im Foyer des Hotel Atlantic in Hamburg.

Die Ausstellung im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg bietet nun die einzigartige Möglichkeit, die Cadiner Baukeramik anhand erhaltener Einzelstücke genau im Detail zu studieren. Die Exponate können ganz aus der Nähe und in allen Feinheiten der Modellierung und Malerei erfahren werden. Einige spektakuläre Großobjekte sind erstmals zu sehen. Aus den in Cadinen gefundenen Bruchstücken gefertigter Teile, die wegen kleiner Mängel etwa jedoch verworfen und auf den Abfallhaufen getan wurden, sind einige Arbeiten rekonstruiert worden.

In einmalig großer Zahl stehen auch die Gartenkeramiken, Blumenkübel und Übertöpfe zur Besichtigung bereit, die zu den frühesten Produkten der Cadiner Kunstkeramik gehören. Als eine der dominierendsten Arbeiten fällt der denkmalsgroße liegende Löwe aus roter Terrakotta auf, der ebenfalls aus den ersten Jahren der Cadiner Werkstätten stammt.

Die baukeramischen Arbeiten Cadinens nach dem Ersten Weltkrieg mussten dagegen insgesamt bescheidener ausfallen. Die aufwändige Arbeit für jedes einzelne Bauvorhaben war nur möglich gewesen, weil die kaiserliche Schatulle die regelmäßig entstehenden Mehrkosten ausglich. Nach 1918 mussten die Cadiner Majolika-Werkstätten unbedingt gewinnorientiert arbeiten. An vielen Bauvorhaben in den 20er und 30er Jahren kamen in Ostpreußen nicht nur Cadiner Ziegel, sondern auch Kunstkeramiken zum Einsatz. Beispiele sind etwa der Königsberger Hauptbahnhof, die Kreuzkirche in Königsberg oder die Berufsschule in Osterode. Die Sonderausstellung zeigt auch aus dieser Periode Cadiner Arbeiten einige Beispiele.

Sie ist die Krönung der hier auch nur zu einem Teil präsentierten Privatsammlung eines Ostpreußen, der nicht nur ein engagierter Sammler, sondern auch ein langjähriges Vorstandsmitglied der Kreisgemeinschaft Treuburg ist. Durch seine entgegenkommende Kooperationsbereitschaft war es schon mehrfach möglich, in großen Sonderausstellungen die verschiedenen Produktionsbereiche der Cadiner Keramik zwischen 1903 und 1944 zu präsentieren. In jahrzehntelanger Sammeltätigkeit hat er entscheidend dazu beigetragen, dass dieses besondere Kapitel der ostpreußischen Kulturgeschichte in seiner einzigartigen und überregionalen Bedeutung überhaupt richtig erkannt und gewürdigt werden kann.          Jörn Barfod

Der Verfasser dieses Beitrags ist Kustos am Ostpreußischen Landesmuseum.


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