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10.09.11 / Stachel im Fleisch des Regimes / DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld über ihre Zeit des Widerstands

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-11 vom 10. September 2011

Stachel im Fleisch des Regimes
DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld über ihre Zeit des Widerstands

Warum ein Mann wie Gregor Gysi noch heute in der Bundesrepublik Deutschland ein gern gesehener Gast in Talkshows und ähnlichem ist, bleibt Vera Lengsfeld ein Rätsel. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete (erst Bündnis 90/Grüne, dann CDU) begegnete ihm in einer ihrer dunkelsten Stunden und ist sich bis heute nicht sicher, welche Rolle er damals spielte. In „Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution“ beschreibt die PAZ-Autorin, wie Gysi sie 1988 nach ihrer Verhaftung im Rahmen der später legendär gewordenen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Gefängnis besuchte.

Lengsfeld war als Bürgerrechtlerin für das SED-Regime immer mehr zur Gefahr geworden. Sie und andere Protagonisten wie Bärbel Bohley, Freya Klier sowie Lotte und Wolfgang Templin sollten schnellstens die DDR verlassen, um mit ihren mehr Freiheiten fordernden Aktionen die immer instabiler werdende DDR nicht noch weiter zu destabilisieren. Doch Vera Lengsfeld wollte die DDR nicht verlassen, schließlich lebten hier ihr Mann und ihre drei Söhne. Zwar versprach Rechtsanwalt Gysi, ihr die Kinder überall in der Welt hinterherzubringen, doch sie traute ihm nicht, hatte er doch den Ruf, in Sorgerechtsfragen nicht auf Seiten der Mütter zu sein.

Da Lengsfeld weiß, dass Gysi sehr klagefreudig ist, wenn es um seine Rolle zu DDR-Zeiten geht, formuliert sie sehr vorsichtig. So endet das Kapitel über ihre Begegnung wie folgt: „Natürlich würde ich niemals behaupten, dass Gysi auf diese Weise versuchen wollte, mein Schweigen zu erkaufen, aber dass mir der Gedanke gekommen ist, kann ich nicht leugnen.“ Doch schnell wird dem Leser klar, dass Gysi noch eines der geringeren Probleme von Vera Lengsfeld war. Ihr vorliegendes Buch hätte auch „Der Feind in meinem Bett“ heißen können, doch so ein Titel entspricht nicht dem Charakter der Autorin und würde ihr außerdem eine Art von Opferrolle zuweisen, die sie vehement von sich weist. Sie will durch das neue Buch ihre Zeit in der DDR und ihre Probleme als Bürgerrechtlerin darstellen, um anhand ihrer Erfahrungen zu belegen, dass jegliche DDR-Nostalgie fehl am Platze ist. Nachvollziehbar schildert sie, wie sie, obwohl Tochter SED-treuer Eltern, bereits als junges Mädchen Stück für Stück Zweifel an der ihr präsentierten Weltsicht bekam und die Gesellschaft, in der sie lebte, zu hinterfragen begann. Und so erfährt auch der Leser in Etappen, was die Autorin trotz daraus resultierender Nachteile dazu bewegte, sich als Bürgerrechtlerin zu engagieren.

Vera Lengsfeld hält mit dem vorliegenden Buch für die Nachwelt auch fest, wie hinterhältig durch die Staatssicherheit Menschenleben zerstört wurden. Die Methoden der Stasi, Personen, die offen nicht ganz auf SED-Linie waren, den Boden auch ohne Inhaftierung unter den Füßen wegzuziehen, beschreibt sie eindringlich: „Wer seinen Beruf liebte, dem wurden systematisch Misserfolge im Berufsleben organisiert, die oft mit dem Verlust der Stellung einhergingen. Wer gern reiste, der bekam keine Visa oder wurde an der Grenze zu­rück­geschickt, wer gern studierte, der wurde unter einem Vorwand exmatrikuliert, wer stolz auf seinen Freundeskreis war, dem wurden die Freunde mit böswilligen Gerüchten entfremdet.“

Und im Grunde hat sie selbst all jene Varianten am eigenen Leib verspürt und fand trotzdem stets wieder die Kraft, Stachel im Fleisch des SED-Regimes zu bleiben. „Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution“ wurde so zu einer Autobiografie, die jedem an deutscher Zeitgeschichte interessiertem Leser ans Herz zu legen ist.

            Rebecca Bellano

Vera Lengsfeld: „Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution“, Herbig, München 2011, gebunden, 334 Seiten, 19,99 Euro.


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