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17.09.11 / Als die Schweizer nach Ostpreußen kamen / Nach der Großen Pest lockte König Friedrich I. mit einem Einladungspatent insbesondere reformierte Eidgenossen ins Land

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-11 vom 17. September 2011

Als die Schweizer nach Ostpreußen kamen
Nach der Großen Pest lockte König Friedrich I. mit einem Einladungspatent insbesondere reformierte Eidgenossen ins Land

Nach der Großen Pest in Ostpreußen versuchten die preußischen Könige die Menschenverluste durch Immigranten auszugleichen. Weitgehend bekannt ist die Einladung des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. an die Salzburger. Vorher hatte sich allerdings bereits schon der Vater Friedrich I. um den Zuzug von Schweizern bemüht.

1613 traten die brandenburgischen Hohenzollern zum reformierten Protestantismus über, ohne ihre Untertanen zu diesem Schritt zu zwingen. Dennoch waren sie daran interessiert, den reformierten Bevölkerungsanteil zu vergrößern, auch durch Zuwanderung. Eine Gelegenheit ergab sich 1711. Von Mitte 1709 bis Juli 1711 hatte die Pest in Ostpreußen gewütet. Stark betroffen war der östliche Landesteil. Ein Drittel der dortigen Landbevölkerung war an der Pest gestorben, etwa 8400 Hofstellen waren nicht mehr bewirtschaftet. Dringlichste staatliche Aufgabe war also die Wiederbesiedlung des ländlichen Raumes. Durch die Zuwanderung hoffte man, auch die Anbau- und Wirtschaftsmethoden zu verbessern. Vor allem in reformierten deutschen und Schweizer Gebieten wurde gezielt geworben.

Beträchtlichen Widerhall fand das Einladungspatent vom 20. September 1711. Es sollte insbesondere reformierte Schweizer ansprechen. Demzufolge wurde die Einladung in Deutsch und in Französisch veröffentlicht. Sie benannte die Möglichkeiten und die Rahmenbedingungen. Sie waren für viele besser als die in ihrer Heimat.

Landwirten wurde ein vollständiger Hof versprochen. Zugesichert wurde ihnen eine landwirtschaftliche Nutzfläche von mindestens zehn Hektar. Wer die Reisekosten selbst tragen und mit eigenen Mitteln das nötige Vieh, landwirtschaftliche Geräte, Saat- und Brotgetreide sowie Futter kaufen konnte, wurde für sechs Jahre von allen Abgaben freigestellt. Wer aber als mittelloser Landwirt einwanderte und wem zur Bewirtschaftung eines Hofes alles vorfinanziert werden musste, erhielt nur ein Jahr Abgabefreiheit. Landwirte, die nicht genügend Personen zur Hof-Bewirtschaftung stellen konnten, erhielten nur ein Haus mit Garten und einen kleinen Acker zur Eigenversorgung. Sie sollten im Tagesdienst auf Bauern- oder Herrenhöfen arbeiten. Unverheiratete Knechte und Mägde mussten auf königlichen Staatsgütern arbeiten. Sie erhielten etwas höhere Löhne als die einheimischen Dienstleute. Stadthandwerker, die ihre Reise nach Preußen und Kauf oder Miete eines Hauses selbst bezahlen konnten, erhielten das freie Meister- und Bürgerrecht. Außerdem wurden sie von allen gewerblichen und zeitlich begrenzten finanziellen Bedingungen befreit. Für drei bis sechs Jahre waren sie abgabefrei. Letztlich wurde in der Einladung zum Ausdruck gebracht, dass man nur fleißige Personen aufnehmen wollte. Nach damaliger Auffassung galten auch Armut und Unvermögen als Zeichen mangelnden Fleißes.

Für die Schweizer gab es ein spezielles Beiblatt. Darin wurden sie darüber informiert, dass sie vom Kriegsdienst befreit sind und auch für die Unterbringung und Verpflegung von Soldaten keine Gelder zahlen müssen. Über eventuelle Hand- und Spanndienste für den Staat wurden keine Aussagen gemacht.

Von 1711 bis 1713 machte sich eine größere Menge Ansiedlungswilliger auf den Weg nach Ostpreußen, darunter eine große Anzahl Reformierter. Die Reise der Einwanderergruppen organisierte der preußische Staat. Schweizer benötigten für die über 1600 Kilometer lange Wegstrecke etwa vier Monate. Nur Kinder, Alte und Kranke konnten auf von Pferden oder Ochsen gezogenen Wagen fahren, die anderen gingen zu Fuß.

Die bäuerlichen Kolonisten wurden in einem Gebiet von etwa 230 Quadratkilometern angesiedelt, im Wesentlichen im Umkreis von etwa 20 Kilometer um Gumbinnen. Die 471 Familien, darunter 367 reformierte deutsch- und französischsprachige Schweizer Familien, wurden auf insgesamt 96 schon vorhandene Dörfer verteilt. Sie waren nach der Pest nicht völlig ausgestorben und behielten ihre ostpreußischen Namen. In die meisten Dörfer wurden drei bis vier Kolonistenfamilien zu den Einheimischen zugesiedelt. Für die verstreut unter ihnen wohnenden, privilegierten Kolonisten wurde eine Sonderverwaltung eingerichtet, die den Namen „Schweizerkolonie“ erhielt. Die einheimischen lutherischen Nachbarn gehörten nicht zur Koloniegemeinschaft, sie unterstanden der üblichen preußischen Verwaltung.

Leiter der Kommission zur Wiederbesiedlung Preußens wurde der Reformierte Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten. 1712 wurde er auch Direktor der Schweizerkolonie, das heißt zuständig für die Angelegenheiten der Einwanderer. Wegen Unzufriedenheit mit den äußeren Bedingungen oder aus anderen Gründen verließen Kolonisten auch wieder den Siedlungsort und schieden so aus dem Kolonieverband aus. Einige gingen in die alte Heimat zurück. Weitere wanderten in andere Gebiete des nordöstlichen Ostpreußens ab, wo sie an der Gründung reformierter Kirchgemeinden beteiligt waren.

Für die kirchliche und seelsorgliche Versorgung der deutsch- und französischsprachigen Kolonisten wurden als Standorte der vom Staat bezahlten Prediger Sad­weit­schen/Altkrug, Judtschen/Kant­hausen und Gumbinnen festgelegt. Die reformierten Kirch­ge­mein­den waren Perso­nal­ge­mein­den, keine Ortsgemeinden. Zu­sätz­liche re­for­mierte Pre­digt­or­te waren Ger­wisch­keh­men/Ger­wen, Isch­daggen/Bran­den, Schir­gu­pö­nen/Amts­hagen und Wal­ter­keh­men/Groß­wal­ters­dorf.

Bei der Einrichtung eines Schulwesens kam man nur langsam voran. 1710 wurde französischsprachiger Schulunterricht eingerichtet, deutschsprachiger erfolgte ab 1720. Schulbuch war der von Reformierten benutzte Heidelberger Katechismus von 1563. Die Schulmeister wurden vom Staat bezahlt.

Der wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und kirchlichen Begünstigung der Kolonisten stand die einheimische lutherische Bevölkerung ablehnend gegenüber. Trotz aller Probleme wurde die Schweizerkolonie zu einem wichtigen Baustein bei der Wiederbesiedlung nach der Großen Pest. Heute ist ein großer Teil der Kolonistendörfer ausgelöscht, bei den anderen sind nur noch wenige Gebäude vorhanden.

Eberhard Gresch

Der Verfasser dieses Artikels ist Autor der Monografien „Die Hugenotten“ und „Reformierte Gemeinden in Sachsen-Anhalt und Sachsen“ sowie Mitautor des Begleitbandes zur gleichnamigen Wanderausstellung „Die andere Reformation – Johannes Calvin und die Reformierten in Mitteldeutschland“.


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