© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-11 vom 01. Oktober 2011

Jan Heitmann:
Glaubensfest

Als für einen Moment um stille Einkehr gebeten wird, kann man im Berliner Olympiastadion fast eine Stecknadel fallen hören – bei 60000 Menschen. Es ist Papstmesse. Sollte man sich als Nichtkatholik die Übertragung ansehen? Unbedingt, denn der Papst ist geistliches Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Menschen, er ist Deutscher und zu Besuch in seinem Heimatland. Ob man ihn und seine Anschauungen schätzt oder ablehnt, spielt keine Rolle, denn sein Amt und sein Wort haben Gewicht in der ganzen Welt. Die Erwartungshaltung des der katholischen Kirche aus verschiedenen Gründen durchaus kritisch gegenüberstehenden Fernsehzuschauers ist gleichwohl klar: Da wird ein greiser Hirte nach starrem Ritual eine steife Veranstaltung durchziehen und seinen Schäfchen seine in vielerlei Hinsicht nicht mehr zeitgemäße Glaubenslehre vermitteln.

Weit gefehlt! Der trotz eines anstrengenden Tages erstaunlich präsente und charismatische Benedikt fesselt die Massen, setzt Emotionen bei den Gläubigen frei. Natürlich folgt die Messe dem festgelegten Ablauf, aber von Steifheit oder Belehrung keine Spur. Gütig und gelöst, fast humorvoll wirkt das für seinen Dogmatismus bekannte Kirchenoberhaupt. Trotz des festen Zeremoniells authentisch, glaubwürdig. Die Kommunion hat zeitweise Eventcharakter aber auch sehr berührende Momente. Man spürt: Hier ist ein Funke übergesprungen. Von einem einzelnen Mann auf Zehntausende. Der Papst hat sie, so simpel es klingen mag, glücklich gemacht. Er hat aus einem Gottesdienst ein Glaubensfest gemacht. Beeindruckend und in für die katholische Kirche schwierigen Zeiten sicherlich ein großer Sympathiegewinn.