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01.10.11 / Prägender Meister / Kurt Sanderling gehörte zu den legendären Dirigenten seiner Generation

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-11 vom 01. Oktober 2011

Prägender Meister
Kurt Sanderling gehörte zu den legendären Dirigenten seiner Generation

Er hat ein wahrhaft biblisches Alter erreicht. Am 18. September starb in Berlin der Dirigent Kurt Sanderling, nur einen Tag vor seinem 99. Geburtstag. Neben Günter Wand, der sich in Allenstein die ersten Sporen verdiente, und dem Heinz-Tiessen-Schüler Sergiu Celibidache gehörte er zu den legendären Dirigenten seines Jahrgangs. Geboren im ostpreußischen Arys, Kreis Johannisburg, wurde er in aller Welt geschätzt. Schon während des Schulbesuchs in Königsberg und Berlin erhielt Sanderling Klavier- und Theorieunterricht. Seine Laufbahn begann er 1931 als Korrepetitor an der Städtischen Oper Berlin. Otto Klemperer, Erich Kleiber, Leo Blech und Wilhelm Furtwängler waren seine künstlerischen Leitbilder. 1933 jedoch wurde Sanderling wegen seiner jüdischen Herkunft aus seiner Stellung entlassen; er erhielt Berufsverbot und wechselte zum Jüdischen Kulturbund Berlin-Charlottenburg. Aus einem Urlaub in Italien kehrte Sanderling nach entsprechenden Warnungen seines Vaters nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern besorgte sich über einen in Moskau lebenden Onkel ein Visum für die UdSSR. „In Amerika musste man etwas sein, in der Sowjet-union konnte man etwas werden“, so begründete Sanderling seinen Entschluss. Zunächst wurde der Ostpreuße als Assistent an den Moskauer Rundfunk verpflichtet, 1937 debütierte er bei der Aufführung von Mo-zarts „Die Entführung aus dem Serail“ als Dirigent. Ab 1939 dirigierte er die Philharmonie in Charkow. Von 1942 bis 1960 leitete er schließlich die Leningrader Philharmoniker. Auch unterrichtete er 1945 und 1946 am Leningrader Konservatorium, wo er die Leitung der Dirigentenklasse innehatte. In dieser Zeit lernte er auch Dmitri Schostakowitsch kennen, dessen Musik er später in Deutschland einem interessierten Publikum nahebringen sollte.

1960 kehrte Sanderling nach Berlin zurück und übernahm als Chefdirigent die Leitung des Berliner Sinfonie-Orchesters im Ostteil der Stadt. Gleichzeitig wirkte er von 1960 bis 1967 als Chefdirigent der Dresdener Staatskapelle. In Ost-Berlin wurden ihm nach eigenem Bekunden alle Freiheiten gewährt, so konnte er Kompositionen von Strawinsky und Hindemith aufführen und DDR-Komponisten ablehnen, wenn ihre Stücke ihm nicht zusagten. Offiziell hatte er den Auftrag, aus den zweitrangigen Berliner Sinfonikern ein Aushängeschild der DDR zu machen und eine Antwort auf die Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan im Westen zu geben. Reisen führten Sanderling als Gastdirigent in fast alle west- und osteuropäischen Länder, in die USA und nach Japan. Seine musikalische Palette war groß, davon zeugen seine Aufnahmen verschiedenster Komponisten auf Schallplatten – immer getreu seinem Motto: „Es kommt letztendlich darauf an, als nachschöpferischer Interpret unverhohlen seine eigene Wahrheit auszudrücken – allerdings unter strikter Wahrung des Werkcharakters.“

Zum letzten Mal stand Kurt Sanderling, den Simon Rattle einmal den „prägenden Meister des 20. Jahrhunderts“ genannt hat, 2002 offiziell am Dirigentenpult. Auf eigenen Wunsch verabschiedete er sich mit einem Konzert des Berliner Symphonie-Orchesters, das er 17 Jahre lang als Chefdirigent geleitet hatte. Seine Liebe zur Musik und sein Können aber hat Sanderling an seine drei Söhne weitergegeben, die sich ebenfalls der Musik verschrieben haben, einer als Cellist, zwei als Dirigenten. S. Osman


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