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01.10.11 / Als Vermittler gescheitert / Die Türkei musste in den letzten Monaten Stellung beziehen und ist jetzt nicht mehr nur der nette Nachbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-11 vom 01. Oktober 2011

Als Vermittler gescheitert
Die Türkei musste in den letzten Monaten Stellung beziehen und ist jetzt nicht mehr nur der nette Nachbar

Die Türkei möchte bei den Veränderungen der arabischen Welt als Modell für den „Arabischen Frühling“ eine führende Rolle übernehmen. Doch hierfür musste sich das Land von den alten Machthabern losagen.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat vor kurzem Ägypten, Tunesien und Libyen besucht. Von einem ursprünglich geplanten Abstecher nach Gaza hat er jedoch abgesehen. Dies hätte zu sehr an den Besuch Ahmadinedschads im Südlibanon im letzten Jahr erinnert. Mit dieser Reise und mit der kurz zuvor erfolgten Ausweisung des israelischen Botschafters wollte der türkische Premier eine Vorreiterrolle für den politischen Umbruch in den arabischen Ländern für sich reklamieren. Die neue türkische Politik im Nahen Osten begann jedoch mit einem uralten Ritual nahöstlicher Politik, nämlich der Bedienung anti-israelischer Stereotypen, die bei den arabischen Bevölkerungen stets gut angekommen sind. Bei ihrer Politik, sich als neue muslimische Führungsmacht des postrevolutionären Nahen Ostens zu etablieren, richten die Türken ihre Blicke weit über die unmittelbare Nahost-Region hinaus. Vor einigen Wochen hatte Erdogan bereits die somalische Hauptstadt Mogadischu als erster Regierungschef eines westlichen Staates seit zwei Jahrzehnten besucht. Auch am Hindukusch in Pakistan und Afghanistan zeigt die Türkei mehr und mehr Flagge.

Am Rande Europas und der arabischen Welt verstand sich die Türkei als Partner und Außenposten des Westens, jetzt strebt Ankara eine neue Rolle als eigenes Machtzentrum an. Auch eine seit Jahren boomende Wirtschaft drängt die Türkei auf der Suche nach neuen Märkten immer mehr nach Osten. Trotz grundsätzlicher Beibehaltung der Westbindung Ankaras wird das neue Rollenverständnis zu Reibereien mit alten Verbündeten führen. Dass kein langfristiges und klar durchdachtes Konzept hinter dieser neuen Rolle steckt, bewies die Türkei allerdings in Libyen, wo Erdogan noch Telefonkontakte zum libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi unterhielt, während Italien, Frankreich und Großbritannien bereits Bomben zum Schutz der Zivilbevölkerung warfen. Auch in Syrien setzte Erdogan zu lange auf den Reformwillen des brutal um sich schlagenden Assad-

Regimes. Nach harter Kritik an der Unterdrückung der Opposition in Syrien ist das einstige Bündnis mit Damaskus nur noch Makulatur. Die Erlaubnis für die Nato, neue Radaranlagen in der Türkei zu stationieren, erzürnte den Iran. Die Rolle der Türkei als Vermittler im Atomkonflikt mit dem Iran steht auf dem Spiel

Die einst von Erdogan verkündete Formel „Null Probleme mit den Nachbarn“ scheint jedoch in Gefahr. Die Türkei unterhielt als Nato-Mitglied gute Beziehungen zum Westen und zu Israel, hatte aber gleichzeitig Botschaften in Damaskus und Teheran. Jetzt scheinen im Laufe der Umorientierung der türkischen Politik neue Konflikte zu entstehen. Die einst guten Beziehungen zu Israel, die allerdings bereits seit 2009 am Abklingen waren, wurden jetzt ganz auf Eis gelegt. Auch in Zypern, dessen Norden seit 1974 von türkischen Truppen besetzt gehalten wird, haben sich die Spannungen erhöht. Nikosia will neu entdeckte Öl- und Gasvorkommen vor seiner Küste ausbeuten (siehe Seite 4). Dazu wurden bilaterale Abkommen mit Ägypten, Israel und dem Libanon unterzeichnet.

Griechenland, dessen Beziehungen sich mit der Türkei ebenfalls verbessert hatten, und Zypern ängstigt die massive Aufrüstung der Türkei, die jährlich fünf Milliarden Dollar in die Armee investiert. Auch von Armenien verlangt Erdogan eine öffentliche Entschuldigung, weil der armenische Staatschef vom „westlichen Armenien“ gesprochen hatte, einem Gebiet, das heute zur Türkei gehört. Das Denkmal für den Genozid an den Armeniern in der Türkei ließ Erdogan einreißen. Dabei stand noch im vergangenen Jahr die Öffnung der gemeinsamen Grenze auf der Tagesordnung.

Selbst bei Aserbaidschan, dem natürlichen Verbündeten Ankaras, löste Erdogans Rollenverschiebung Unbehagen aus. Offiziell sehen sich die Türkei und Aserbaidschan als „zwei Staaten eines Volkes“. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev ging jedoch mittlerweile auf Distanz zu dieser Sichtweise, immerhin sind die meisten Türken und die gesamte Umgebung Erdogans Sunniten, während die Aserbaidschaner mehrheitlich Schiiten sind. Aliyev möchte sein Land vor türkischem „Neo-Ottomanismus“ schützen.

Die Türkei hat ein historisches Interesse an dem demokratischen Aufbruch der arabischen Völker, weil das türkisch-osmanische Reich bis zu seinem Zusammenbruch 1918 jahrhundertelang die zumeist unbeliebte Kolonialmacht der meisten jetzt nach Freiheit strebenden arabischen Länder war. Im Unterschied zu dem demokratischen Aufbruch in der arabischen Welt haben die Türken die Demokratie nicht selbst erkämpft, sondern sie wurde ihnen durch das von Europa aufgedrängte Reformwerk des Mustafa Kemal Atatürk, dem Vater der modernen Türkei, sozusagen von oben aufgedrängt. Mustafa Kemal Atatürk hatte damals sein Volk auch dazu aufgefordert, allen arabischen Ländern den Rücken zu kehren, da diese dem Osmanischen Reich die Gefolgschaft verweigert hatten.

Mit Machtdemonstrationen gegenüber den USA und Israel versucht die Türkei jetzt wieder das seit 1918 verlorene Ansehen in der arabischen Welt zurückzuerobern.

Nach den Worten des türkischen Außenministers Davutoglu soll die Türkei „in Europa europäisch und im Orient orientalisch sein, weil sie beides ist“. Viele sehen eine solche Einstellung jedoch als Doppelspiel, wodurch das Land seine Rolle eines Vermittlers und Brückenbauers zwischen dem Westen und der islamischen Sphäre aufs Spiel setzt. Wenn die arabischen Nationen jetzt ihre Demokratie und womöglich auch eine Säkularisierung aus eigener Kraft erkämpfen, sind sie dem Westen, der dies auch getan hat, näher als die Türkei, dann dürfte diese ihre Rolle eines Vermittlers zwischen den Kulturen und Blöcken endgültig verloren haben. Bodo Bost


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