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08.10.11 / Symbolische Wiedergutmachung / Charité gibt Schädel aus der Kolonialzeit an Namibia zurück – Eklat bei der Übergabezeremonie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Symbolische Wiedergutmachung
Charité gibt Schädel aus der Kolonialzeit an Namibia zurück – Eklat bei der Übergabezeremonie

Ein grelles Schlaglicht fiel Ende September auf das deutsche Kaiserreich, als es in Berlin bei der Übergabe von 20 Totenschädeln der Herero und Nama zu einem Eklat kam. Die zur Übernahme der Schädel aus Namibia angereisten Regierungsvertreter fühlten sich von der Bundesregierung ignoriert und buhten Staatsministerin Cornelia Pieper (FDP) während ihrer Rede aus, woraufhin diese die Veranstaltung verließ.

Die Köpfe stammen von Stammeskriegern, die zwischen 1904 und 1908 bei den Gefechten mit den deutschen Kolonialherren getötet worden waren. Anschließend wurden die sterblichen Überreste konserviert und zu wissenschaftlich-anthropologischen Zwecken in das Lehr- und Forschungskrankenhaus Charité nach Berlin sowie in weitere Forschungsinstitute gebracht. Sie sollen jetzt in einer zentralen Gedenkstätte in Namibia, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, beispielsweise beim neuen Unabhängigkeitsmuseum beigesetzt oder eingemauert werden. Das Auswärtige Amt hatte zur Verärgerung der aus Namibia angereisten Delegierten einen Empfang durch Vertreter der Bundesregierung abgelehnt und den Vorgang als Angelegenheit der Charité bezeichnet. Dennoch entsandte es seine Staatsministerin als offizielle Regierungsvertreterin zu der Veranstaltung. Auf eine offizielle deutsche Entschuldigung für die koloniale Vergangenheit warteten die namibischen Regierungsvertreter allerdings vergeblich. Während ihrer Rede wurde Pieper deshalb permanent von den afrikanischen Politikern unterbrochen und ausgebuht. Schließlich verließ sie den Saal, noch bevor Namibias Kulturminister Kazenambo Kazenambo das Wort ergriff und die deutschen „Kolonialverbrechen“ aufzählte.

Hintergrund für den von Namibia als diplomatische Brüskierung empfundenen Vorgang ist die deutsche Angst, zu Wiedergutmachungszahlungen herangezogen zu werden; ähnliche Forderungen wurden bereits abgelehnt. Auch Veteranen der kenianischen Mau-Mau-Bewegung erhoben inzwischen entsprechende Forderungen in London und forderten bis zu 157 Euro pro Person. Insgesamt wurden mindestens 11000 der kenianischen Kämpfer getötet, die schließlich die Unabhängigkeit des Landes erstritten. In Deutsch-Südwestafrika fanden etwa 80000 Stammesangehörige den Tod, viele davon in Lagern auf der Haifischinsel vor der Küste, wo sie an Unterernährung oder Skorbut starben.

Rund 300 von 7000 Schädeln, die noch heute in der Charité lagern, stammen wahrscheinlich aus dieser Epoche. Sie sollen jetzt auf ihre Herkunft untersucht werden, kein einmaliger Vorgang in Europa. So gab 2010 die Universität Zürich die sterblichen Überreste von Feuerland-Indianern zurück. Diese waren 1882 in die Schweizer Metropole verbracht worden und mussten dort zur Demonstration naturnahen Lebens im sogenannten Platten-theater als „Wilde“ an einem Feuer dem zahlungskräftigen, eidgenössischen Publikum als gruseliges Kulturereignis herhalten. Organisiert wurde das Spektakel von dem Hamburger Carl Hagenbeck, der mit seinen „Völkerschauen“ ein einträgliches Geschäft entwickelt hatte.

Ein inzwischen aus dem Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhuk entferntes Reiterstandbild aus Bronze erinnerte an die verblasste Glorie der wilhelminischen Ära. Noch vor kurzem deutschsprachige Straßennamen wurden entfernt und durch Begriffe wie Robert-Mugabe-Allee oder Nelson-Mandela-Allee ersetzt. Im Parlament sind die Vertreter mit deutschem Stammbaum mittlerweile nicht mehr vertreten.

Die während der Kolonialzeit nach Deutschland verbrachten Schädel sollten die Überlegenheit der weißen Rasse beweisen – eine damals in ganz Europa verbreitete Ansicht, die Farbige in aller Welt zu Menschen dritter Klasse stempelte und zu Grausamkeiten der Kolonialherren Anlass gab. So ließ etwa Belgiens König Leopold II. um 1900 Kongolesen, die nicht genügend zur Ausbeute der Rohstoffe, vornehmlich Kautschuk, beigetragen hatten, die Hände abhacken. Für jede an die Soldaten ausgegebene Kugel musste eine abgehackte Hand vorgelegt werden. Den Kongo verwaltete er als Privatbesitz. Die sogenannten Kap-Holländer in Südafrika holten sich aus ihren anderen Kolonialgebieten Tausende von Sklaven, die unter teils unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Die nachfolgenden Briten etablierten den Apartheidsstaat, der bis 1990 die Farbigen weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben ausgrenzte. Noch in den Jahren 1954 bis 1962 wandte die französische Armee in Algerien systematisch Folter und Mord gegen ihre Gegner an, rund 3000 Algerier seien heimlich exekutiert worden, wie der Ex-General Jacques Massu inzwischen einräumte. In Vietnam starben 6000 Zivilisten, als die Franzosen in der Hafenstadt Haiphong in ihrer Kolonie an einer Reisausgabestellte ein Gemetzel veranstalteten. Die spanische und portugiesische Kolonisation, etwa in Mittel- und Südamerika, ist ohnehin durch eine Kette kolonialer Gräuel gekennzeichnet, die erst vor knapp 40 Jahren im blutigen Freiheitskampf in Angola und Mosambik ihr Ende fand. Joachim Feyerabend


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