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08.10.11 / Die Schweiz auf dem Prüfstand / Die Eidgenossen wählen ein neues Parlament: Wie stabil ist die Musterdemokratie?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Die Schweiz auf dem Prüfstand
Die Eidgenossen wählen ein neues Parlament: Wie stabil ist die Musterdemokratie?

Am 23. Oktober wählen die Eidgenossen ein neues Parlament. Dabei geht es auch darum, ob das Schweizer Modell Bestand hat.

Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr – mit solch hehren Worten verklärte Friedrich Schiller den Gründungsmythos der Schweiz. Demnach sollen um den 1. August 1291 auf dem Rütli, einer Wiese am Vierwaldstättersee, Werner Stauffacher, Walter Fürst und Arnold von Melchtal als Repräsentanten der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden sich zum Schutz- und Trutzbund gegen Habsburgs „böse Vögte“ verschworen haben. Nationalheld Wilhelm Tell wurde erst später in das Geschehen einbezogen.

Doch egal, wie viel von diesem Nationalmythos wahr oder nur gut erfunden ist – die Nachfahren der drei Eidgenossen sind gut beraten, dem Rütlischwur treu zu bleiben. Denn die Schweiz, in deutschen Landen gern als Musterdemokratie bewundert, steht innen- und außenpolitisch unter Druck. So geht es bei den Parlamentswahlen letztlich auch darum, ob das bewährte Schweizer Modell – eine Kombination aus direkter und harmoniebetont repräsentativer Demokratie – Bestand hat.

Die Bundesversammlung der Schweiz setzt sich aus zwei Kammern zusammen: dem Nationalrat mit 200 Abgeordneten und dem Ständerat (Stöckli) mit 46 Delegierten. Ein sorgfältig austariertes Proporzsystem stellt sicher, dass alle 26 Kantone in beiden Kammern angemessen vertreten sind.

Regiert wird die Schweiz nach dem sogenannten Konkordanzprinzip. Das Parlament wählt sieben Bundesräte, die den Regierungs-Departements (Ministerien) vorstehen. Einer von ihnen wird für jeweils ein Jahr zum Bundespräsidenten gewählt; er leitet als „primus inter pares“ die Bundesratssitzungen, vertritt die Schweiz nach außen, genießt aber nicht die üblichen Privilegien eines Staatsoberhauptes.

Die gesetzgeberischen Kompetenzen der beiden Kammern sind eingeschränkt durch starke Elemente direkter Demokratie. Auf Bundes-, kantonaler und kommunaler Ebene hat das Volk in nahezu allen wichtigen (manchmal auch unwichtigen) Fragen das letzte Wort. Das Votum von Initiativen und Referenden bindet Parlamente, Regierungen und Verwaltung.

„Wir wollen frei sein“ – die Zeile aus dem Rütlischwur bedeutet für den Eidgenossen eben auch, sich die Freiheit zu nehmen, anders als Medien- und Parlamentsmehrheiten zu entscheiden. Als Beispiel sei an das Bauverbot für Minarette erinnert, ein Referendum, dessen Ergebnis weltweit für Aufmerksamkeit und Aufgeregtheit sorgte.

Anders als zum Beispiel in Deutschland wird in der Schweiz die Bundesregierung (Bundesrat) nicht von der parlamentarischen Mehrheit gestellt. Vielmehr sollen die sieben Bundesräte alle relevanten politischen Strömungen repräsentieren. Dieses Konkordanzsystem ist am ehesten noch mit einer allumfassenden Großen Koalition zu vergleichen. Dem derzeitigen Bundesrat gehören je zwei Vertreter der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Liberalen (FDP) sowie je ein Vertreter der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und der von der SVP abgespaltenen Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) an. Insgesamt repräsentiert das bürgerlich-konservative Lager über 60 Prozent der Wähler. Das Erstarken der Grünen, zuletzt bei 9,6 Prozent, könnte nun dazu führen, dass die bislang das Konkordanzsystem tragende „Zauberformel“ nicht mehr zum Zuge kommt, da sie einen der Sitze im Bundesrat einfordern könnten.

National wie international sieht sich die Schweiz mit großen Herausforderungen konfrontiert. Der hohe Ausländeranteil (über 22 Prozent) bereitet ebenso Sorgen wie der hohe Frankenkurs, der den Export schwächt. Auf dem schmalen Grat zwischen Neutralität und Globalisierungsdruck muss das Verhältnis zur EU neu gestaltet werden. Und die Attacken auf das Schweizer Bankgeheimnis, von den USA noch aggressiver vorgetragen als von Deutschland, verschärfen die Lage. Da sollten die Eidgenossen sich an den Schluss des Rütlischwur halten: „Wir wollen trauen auf den höchsten Gott und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“ H.-J. Mahlitz


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