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08.10.11 / Mit dir kann man reden / Zögernd nahmen die Hooligans die Einladung zum Eisessen an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Mit dir kann man reden
Zögernd nahmen die Hooligans die Einladung zum Eisessen an

Sie kam von ihrem Arzt und war auf dem Weg nach Hause. „Ich muss vorsichtig fahren“, dachte sie, „sonst krieg ich wieder Schmerzen.“ Aus der naheliegenden Schule kamen die Schüler wie Ameisen aus ihrem Bau und belagerten Bushaltestelle und Straße. Viele standen in kleinen Gruppen beieinander und schwatzten. Vor ihr, direkt auf dem Radweg, lümmelten sich ein paar Jugendliche herum. Sie betätigte ihre Klingel. Keiner von ihnen rührte sich. Sie musste absteigen und wäre beinah gefallen. „Ihr habt hier auf dem Radweg nichts zu suchen“, schimpfte sie, „auf dem Gehweg ist Platz genug!“ Der Lange mit der teuren Lederjacke lachte und sagte in frechem Ton: „Da musst du eben um uns herumfahren, Oma!“ „Hab ich da richtig gehört?“ Zornig blitzte sie den Großen an. „He, was will die Alte eigentlich?“ Die Jungen fühlten sich kritisiert und das mochten sie gar nicht, jedenfalls umringten sie die ältere Dame mit ihrem Fahrrad und wollten ihr offensichtlich zeigen, wer der Stärkere sei. Sie merkte, wie wehrlos sie war, und das machte ihr Angst. Doch nun musste sie durch! „Mal langsam! Ich habe keine Lust, mich mit euch zu zanken!“ „Haste Angst bekommen, Oma?“ spöttelte ein kleiner Dicker mit ausgeprägtem Doppelkinn. Sie ging nicht auf seine Frage ein. „Ich habe zwei Enkel in eurem Alter und mit denen habe ich mich mehrmals über Hooligans unterhalten.“ Sie lachte. „Wir haben ganz schön gestritten. Ihr gehört doch auch zu denen, stimmts? Wie wär’s denn, wenn ihr mir da drüben in der Eisdiele ein bisschen mehr über diese Gruppe erzählen würdet. Ich schreibe alles auf.“ „Und warum sollten wir das wohl tun, Oma?“ Der Kleine stemmte seine dick-lichen Fäuste in die Seiten. „Bist doch nicht von der Zeitung. Kannste überhaupt das Abc?“ Sie johlten. „Sogar auf Englisch.“ Sie erzählte ihnen, dass sie tatsächlich früher für Tageszeitungen gearbeitet habe.

Fünf Minuten später saß sie mit den Jungen im Café. Sie waren mitgegangen, weil sie ihnen einen Eisbecher versprochen und gesagt hatte, dass eventuell etwas über sie in der Zeitung stehen würde. Einträchtig löffelten sie die süße Creme und antworteten bereitwillig auf ihre Fragen, vielleicht weil sie fühlten, dass sie ernst genommen wurden. Sie waren alle fußballbegeistert. „Faustkampf und Fußball, unser Leben!“ brüllte der Lange. Ja, sie würden sich auch manchmal mit befreundeten Gruppen prügeln. Das sei mächtig cool. „Gegen Ausländer haben wir nichts“, versicherte der Dicke, „höchstens gegen welche, die uns blöd kommen!“

Keiner von ihnen klagte großartig über sein Zuhause, aber sie hörte schnell eine gewisse Enttäuschung über die Erwachsenen heraus. „Taschengeld krieg ich satt, aber gefragt werde ich nach nichts“. Der Schweigsame wurde plötzlich lebhaft: „Meine Alten wollen gar nicht wissen, wie ich in der Schule bin. Hauptsache, ich bleibe nicht hängen.“ „Du bist in Ordnung!“ Der Dicke lachte ihr anerkennend zu. Er hielt ihr seine Serviette hin. „Hier, du hast’n Sahnebart, Oma.“ „Stehen wir wirklich irgendwann in der Zeitung?“ wollte der Lange wissen. Sie nickte. „Ich habe noch Beziehungen zu einigen Redaktionen. Vielleicht klappt es. Wenn ihr nächsten Freitag wieder hierher kommt, kann ich euch mehr sagen.“ „Wie sind deine Enkel so?“ fragte ein anderer und sie musste lachen. „Nicht schlechter und nicht besser als ihr. Nur prügeln sie sich nicht gern herum, sie treiben lieber Sport. „Fußball?“ Das kam wie aus einem Munde. Sie nickte. „Der eine spielt Fußball, der andere Tennis.“

Nachdenklich sah sie ihnen hinterher, wie sie mit ihrem typischen Schritt über die Straße liefen. Der Ober räumte die verklebten Eisbecher ab und gab ihr die Rechnung. „Vorsicht, gnädige Frau, das sind Hoolis übelster Sorte. Ewig fangen sie Streit an und schon geht die Prügelei los!“ Sie legte einen Schein auf den Tisch. „Wenn sich keiner intensiv um diese Jungen kümmert, ist das doch kein Wunder.“ „Ich möchte nicht einem Einzigen von ihnen im Dunkeln begegnen“, rief ihr ein junger Mann vom Nebentisch aus zu, „die Kerle sind doch immer prügelbereit! Bei denen ist sowieso Hopfen und Malz verloren!“ Dieses Vorurteil ärgerte sie. „Wir Älteren sind bestimmt auch mit Schuld daran, dass junge Menschen auf diese Weise protestieren.“ Aber der Mann winkte ab. „Die sollen richtig arbeiten, dann vergeht ihnen schon der Protest!“

Als sie auf die Straße trat, hatte der Lange auf sie gewartet. Er zeigte zum Fahrradweg. Sie sah zwei Männer, die sich angeregt mit einer Frau unterhielten. Eine Radfahrerin musste ihretwegen absteigen. „Mitten drauf“, sagte der Junge, „so wie wir eben. Ihr Alten seid auch nicht besser!“ Sie wusste keine Antwort und er wollte wohl auch keine. „Übrigens danke für die Eisbecher! Bis nächsten Freitag!“ Er grinste. „Wir kommen aber nicht nur wegen dem Eis oder dem Bericht über die Hools.“ „Weswegen dann?“ Gespannt sah sie ihn an. Er hob die Schultern. „Damit du uns wieder die Leviten lesen kannst. – Nee, im Ernst, mit dir kann man wenigstens reden.“ Gabriele Lins


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