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08.10.11 / Überleben 1948 / Stubbenroden im Kremperheider Wald

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Überleben 1948
Stubbenroden im Kremperheider Wald

Nach unserer Flucht vor der Roten Armee im bitterkalten Winter des Jahres 1945 aus Heinrikau im Ermland war unsere Familie über und durch verschiedene Zwischenaufenthalte in Herfahrt, einem winzigen Ort bei Itzehoe, gelandet. Vater war nach langem bangen Hoffen endlich wieder bei uns. In Ostholstein war er nach unfreiwilligen Jahren als Soldat in britischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Als ehemals selbstständiger Schneidermeister hatte er sich in der Fremde sogar wieder eine kleine Schneiderwerkstatt eingerichtet. Ein handgezimmerter Schneidertisch, eine gebrauchte Anprobepuppe, eine uralte Nähmaschine gaben Vater wieder neuen Auftrieb und das angeschlagene Selbstbewusstsein zurück.

Mein Bett stand zwischen einem Stapel aufgetrennter Wehrmachtsmäntel und der alten Nähmaschine. In der Ecke die Bretterschlafstatt meiner fünfjährigen Schwester. Ein Nachbar, der Zimmermann war, hatte dafür Hand angelegt. In der anderen Ecke stand eine große Emailleschüssel mit selbst hergestelltem Kartoffelmehl. Wenn man die frisch geriebenen Kartoffeln durch ein Tuch gepresst hatte und alles lange genug stehen ließ, erhielt man diese köstliche Speisezutat. Suppen, Saucen und noch vieles mehr ließen sich dann mit dem Kartoffelmehl verfeinern.

Draußen ertönte plötzlich aufgeregtes Glockengebimmel und eine schrille Ausrufer-Stimme: „Achtung, Achtung! Morgen ab 14 Uhr kostenfreies Stubbenroden im Kremperheider Wald.“ Schon Tage vorher hatte es sich gerüchteweise herumgesprochen: Die britische Besatzungsmacht erlaubte das Roden von Stubben an einem Tag der Woche im Kremperheider Wald. Wir erfuhren es von Vaters Kundschaft, die bis nach Itzehoe und Krempe reichte.

Gerodete Stubben waren bestes Brennholz für die gusseiserne Ofenhexe und den altertümlichen, aber noch gut beheizbaren Kachelofen. Das Zerkleinern dieses begehrten Holzes machte allerdings – besonders für Ungeübte – sehr viel Arbeit. Zuerst versuchte man, große Holzkeile oder – falls vorhanden – auch Keile aus Eisen in das Stubbenholz hineinzutreiben. Ganz einfach war das nicht. Es kam auch vor, dass Holzkeile splitterten oder Stahlkeile abglitten und durch die Gegend flogen. Die Feinbearbeitung der gespaltenen Stubben erfolgte mit einer langstieligen Axt oder mit kleinen Stahlkeilen. Ganz Schlaue hatten sich für das Stubbenroden sogar herumliegende Munition von dem nahen Truppenübungsplatz „besorgt“. Dabei hatte sich ein mutiger „Stubbenroder“ gefährliche Gesichtsverletzungen zugezogen. Die Gier nach gutem Brennholz war wohl stärker als das Erkennen des gefährlichen Leichtsinns.

Es klopfte energisch an der Haustür. Schnell ging Mutter zur Tür und öffnete einen Spalt.

Ein Nachbar fragte mit lauter Stimme, ob wir auch nach Kremperheide „zum Holz holen“ mitkommen. Er hatte bereits einen Bauern gebeten, mit einem Pferdegespann die gerodeten Stubben abzutransportieren. Gegen Nachbarschaftshilfe beim anstehenden Einschlagen von Zaunpfählen auf den Viehweiden hatte sich dieser dann bereit erklärt.

Die von uns gerodeten Stubben kamen auf diese Weise bequem zu uns ins Dorf. Wir waren glücklich, denn richtiges Brennholz konnte sich ohnehin niemand leisten, damals. Klaus Lehmann


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