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08.10.11 / Zwei Fluchten / Eine Westpreußin erzählt ihr ereignisreiches Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Zwei Fluchten
Eine Westpreußin erzählt ihr ereignisreiches Leben

Bekanntlich gibt es ein großes Qualitätsgefälle auf dem Gebiet der privaten Erinnerungsliteratur. Als ein lesenswerter und durchaus wichtiger Beitrag auf diesem Themengebiet sind die Aufzeichnungen von Hildegard Forkel-Schadow einzuordnen, die 1928 auf einem Rittergut südwestlich von Danzig geboren wurde. 1978, kurz vor ihrem 50. Geburtstag, schrieb sie für ihre Kinder und Enkel den ersten Teil nieder, der ihre Familiengeschichte, Kindheitserfahrungen und die Zeit bis zu ihrer Heirat umfasst. 1987 begann sie mit der Fortsetzung. Kürzlich sind ihre Memoiren als Buch erschienen, betitelt „Lied meines Lebens. Erlebte Zeitgeschichte 1928 bis 1968“. Die lebhafte Darstellung ist umso anschaulicher, da sie mit zahlreichen Schwarzweißfotos ausgestattet ist.

Als jüngstes von neun Kindern wuchs die Autorin auf dem Rittergut Niadamowo auf, das im Gebiet der westpreußischen Seenplatte lag. Sie berichtet, ihr Urgroßvater Rißmann habe seinen Reichtum während der napoleonischen Kriege erworben, als er das preußische Heer mit Getreide belieferte. Ihm gehörte das Gut Miroslav bei Schneidemühl. Hildegard war ein verträumtes, tier- und naturliebes Kind, das die Musik über alles liebte. Diese Liebe hat sie ihr Leben lang begleitet, sie wurde Konzertsängerin. Berührend sind die Schilderungen der Landschaft, der Menschen und familiärer Gepflogenheiten. Da das Gebiet im polnischen Korridor lag, lebte die deutsche Besitzerfamilie auf einer sprachlichen Insel. Mit den Guts-arbeitern, die in den Insthäusern wohnten, verständigte man sich auf Kaschubisch. In den öffentlichen Schulen wurde Polnisch gesprochen, daher erhielten die Kinder zunächst Unterricht von deutschen Hauslehrern. In dieser Hinsicht wurde ein Auge zugedrückt: „Der zuständige Herr von der Schulbehörde bekam von nun an täglich seine Milch von einer unserer Kühe ins Haus geliefert.“ Mit zehn Jahren kommt sie in Pension nach Danzig, um in Langfuhr die Oberschule zu besuchen. Dort beginnt ihre Leidenszeit, da ihre Pensionswirtin sie in der Schule als „nicht rein arisch“ denunziert. Fassungslos macht die Häme, mit der manche Lehrer sie daraufhin überschütten und so die Hänseleien und Quälereien der Mitschüler befeuern. Über diese gehässigen Ausfälle schreibt die Autorin ohne Groll, nur die damals empfundene Angst und Traurigkeit klingt an. Schließlich nimmt ihre Schwägerin sie zu sich nach Hohensalza. Zu spät, am 20. Januar geht die Familie auf die Flucht, bei 20 Grad Frost und tiefem Schnee.

Hildegard Schadow überstand die Leidenszeit einschließlich einer schweren Krankheit. Dabei war und blieb ihre große Familie für sie eine entscheidende Stütze. Sie gelangte nach Brandenburg und trat Anfang 1946 in Weimar eine Ausbildung als Krankenschwester an. Kurz darauf erhielt sie die Gelegenheit, mit einem Stipendium ein Gesangsstudium aufzunehmen. 1948 heiratete sie Walter Forkel, einen Architekturstudenten. Er starb zehn Jahre später nach schwerer Krankheit. Gemeinsam mit ihren fünf Kindern gelang der Autorin kurz vor dem Mauerbau die Flucht in den We­sten.

Abschließend sei ein Hinweis erlaubt. Nicht jedem Leser wird es behagen, dass Hildegard Forkel-Schadow durchgehend ihre Neigung zu übersinnlichen Erscheinungen thematisiert und dabei ihre Auffassung von der Wiedergeburt als Wissen darstellt. Mit der Schilderung einiger Sorgen schließt das Buch mit dem Jahr 1968 abrupt. Der anteilnehmende Leser fühlt sich daher zuletzt gleichsam im Stich gelassen. Dagmar Jestrzemski

Hildegard Forkel-Schadow: „Lied meines Lebens. Erlebte Zeitgeschichte 1928 bis 1968“, Triga, Gründau-Rothenbergen 2011, broschiert, 425 Seiten, 16,80 Euro


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