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15.10.11 / Mordverdacht neu entfacht / Verlust von Beweisstück belebt alte Spekulationen − Schwere Vorwürfe gegen Lübecker Staatsanwaltschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Mordverdacht neu entfacht
Verlust von Beweisstück belebt alte Spekulationen − Schwere Vorwürfe gegen Lübecker Staatsanwaltschaft

Beweisstück Nummer 84 ist unauffindbar. Dabei handelt es sich um ein menschliches Haar, das auf dem Kopfkissen in jenem Hotelzimmer gefunden worden war, in dem Uwe Barschel im Oktober 1987 starb. Das Haar stammte nicht von dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Hätte das Haar auf die Spur eines mutmaßlichen Mörders Uwe Barschels führen können? Wurde mit ihm ein Beweisstück vernichtet? Oder verschwand es schlicht aus Schlamperei? Auszuschließen ist nichts.

Zusammen mit anderen Beweisstücken wurde das Haar 1995 durch Kripobeamte von Genf nach Lübeck gebracht. Das Haar befand sich, wie sich einer der Polizisten erinnert, in einem Plastikbeutel mit Druck-verschluss. Dieser Beutel wiederum steckte in einem etwas größeren, gleichartigen Beutel. Dass das Haar aus diesen doppelt gesicherten zwei Beuteln hätte herausfallen können, wird als extrem unwahrscheinlich angesehen.

Freya Barschel, die Witwe Uwe Barschels, hat Strafanzeige wegen des Verdachts der Strafvereitlung gestellt. Der Anwalt der Familie, Justus Warburg, geht davon aus, dass eine „fremde Kraft“ Einfluss auf die Ermittlungen genommen habe. Offenbar, so der Anwalt, hätten Mitarbeiter von Polizei oder Justiz das Beweismittel verschwinden lassen.

Im Gegensatz zu den Beweisstücken anderer Ermittlungen waren sie im Fall Barschel nicht wie üblich in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft Lübeck verwahrt worden. Auf Anweisung des damaligen Leitenden Oberstaatsanwalts und Chef-Ermittlers Heinrich Wille waren sie gegen die Vorschrift in verriegelten Stahlschränken in einem verschlossenen Büro untergebracht. Intern wurde dieser Raum als das „Barschel-Zimmer“ bezeichnet. Im Gegensatz zur Asservatenkammer sei die Zutrittsberechtigung zu diesem Raum extrem eingeschränkt gewesen, erklärt Wille jetzt. Schlüssel für Tür und Schränke seien gut verwahrt worden. Eine Dokumentation über die insgesamt 132 Beweisstücke fehlt allerdings bis heute vollständig.

Chefermittler Heinrich Wille war Herr des Verfahrens. Er leitete die Untersuchungen zum Tode Barschels von 1994 bis 1998, dann wurde der Fall auf Druck der Generalstaatsanwaltschaft ergebnislos abgeschlossen. Auf Initiative des CDU-Landtagsabgeordneten Werner Kalinka wurde nun eine DNA-Untersuchung an relevanten Beweisstücken veranlasst. Durch die weiter entwickelte Methode konnten kürzlich über 20 Jahre zurückliegende Morde aufgeklärt werden. Zu den Beweisstücken im Fall Barschel sollte auch das Haar gehören. Doch beim Landeskriminalamt in Kiel kamen nur die beiden leeren Plastiktüten an. Erst so wurde das Fehlen des Haares festgestellt.

Damit erhalten die Spekulationen um den Tod Barschels neuen Auftrieb. Warum der Mann in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober im Zimmer 317 des Hotels „Beau Rivage“ in Genf sterben musste, darüber gab es unzählige Mutmaßungen. Nahezu alle üblichen Verdächtigen wurden genannt: die Staatssicherheit der DDR, der KGB, der israelische Geheimdienst Mossad, dubiose Waffenhändler. Der Strauß der möglichen Motive war ebenso bunt. Barschel habe es mit den Damen im Warnemünder Hotel „Neptun“ zu toll getrieben und sei von der DDR erpresst worden, wurde geraunt. Andere wollten von illegalen Waffengeschäften wissen. Alles schien möglich, nachgewiesen wurde nichts.

Die Untersuchungen zu den Umständen des Todes wurden anfangs in Genf halbherzig geführt. Daran änderte sich erkennbar nichts, nachdem der Fall an die Staatsanwaltschaft Lübeck übergeben worden war. Die vor allem von „Stern“ und „Spiegel“ mit Nachdruck forcierte Lesart besagte, der durch die „Kieler Affäre“ in die Enge getriebene Barschel habe Selbstmord verübt. Von politischer Seite schien wenig Interesse zu bestehen, zu einer anderen Erkenntnis zu kommen. Erst spätere Ermittlungen ließen Oberstaatsanwalt Wille zu widersprechenden Ergebnissen gelangen. Doch der Generalstaatsanwalt verpasste ihm einen Maulkorb. Im August hat Wille − inzwischen im Ruhestand − jedoch ein Buch veröffentlicht: „Ein Mord, der keiner sein durfte. Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates.“

Die Staatsanwaltschaft wird jetzt die Vorgänge um ihren früheren Chef, die fehlende Dokumentation und die unvorschriftsmäßige Verwahrung untersuchen: 13 Jahre nach dem Ende der Ermittlungen zum Tode Uwe Barschels. Klaus J. Groth


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