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15.10.11 / Islamisten oder Sozialisten / Bei Wahl in Tunesien deutet wenig auf demokratischen Aufbruch hin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Islamisten oder Sozialisten
Bei Wahl in Tunesien deutet wenig auf demokratischen Aufbruch hin

Tunesien war das Pionierland des „Arabischen Frühlings“, dort wird es am 23. Oktober auch die erste freie Abstimmung nach diesem Frühling geben. Zur Wahl einer verfassunggebenden Versammlung in Tunesien haben sich nicht weniger als 110 Parteien angemeldet, 1600 Listen und 10000 Kandidaten bewerben sich um die 217 Abgeordnetenposten. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht. 150 Wahlbeobachter aus der EU sollen in den 27 Wahlkreisen die Wahl überwachen.

Trotz der großen Auswahl an Parteien und Listen gaben fast 57 Prozent aller Wahlberechtigten bei einer Umfrage des Wahlforschungsbüros Istis an, dass sie überhaupt keine politische Formation schätzen, zwei Drittel aller Wahlberechtigten gaben an, dass sie sich noch für keine Partei entschieden haben. Noch am 15. August waren Tausende von Menschen durch die Straßen von Tunis marschiert und forderten eine „neue Revolution“, einen „Herbst des Systems“, „eine unabhängige Justiz“ oder ein Tunesien frei von „Dieben“. Die Sorgen, Enttäuschungen und Frustrationen der Menschen sind groß. Vor allem die Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung haben sich bei weitem nicht erfüllt. Durch die Revolution und den Sturz des Re-

gimes Ben Ali im Januar ist vor allem der Tourismus eingebrochen und die Arbeitslosigkeit im Lande gestiegen. Waren vor der Revolution im letzten Jahr 14 Prozent arbeitslos; so sind es jetzt 19 Prozent. Viele Tunesier wissen einfach noch gar nicht, was eigentlich am 23. Oktober gewählt wird. Der Wahlmodus hat die Bildung zahlreicher Wahllisten zu dieser ersten freien Wahl in Tunesien begünstigt. 10000 Kandidaten für 218 Sitze: Die Tunesier haben nur noch knapp drei Wochen Zeit, um sich unter 1600 Listen zu entscheiden.

Die islamistische EnNahda (Wiedergeburt) gilt als Favorit, allerdings haben sich einzelne Gründungsmitglieder dieser Partei wie der Rechtsanwalt Abdelfattah Mourou von den Islamisten getrennt und eigene Listen gegründet. Viele Bürger bewundern die Islamisten, weil sie sich in der jahrzehntelangen Herrschaft Ben Alis nicht haben korrumpieren lassen. Andere nutzen die sozialen Einrichtungen der Partei, mit den sie wie die Muslimbrüder in Ägypten oder die Hamas in Gaza Einfluss auf die Mehrheit der armen Bevölkerung gewinnt. Da Tunesien nicht so arm ist wie Ägypten oder Gaza, werden den Islamisten der EnNahda, die angeblich von Geschäftsleuten aus Saudi-Arabien finanziert wird, „nur“ 20 bis 30 Prozent der Stimmen zur verfassunggebenden Versammlung zugeschrieben.

Außer EnNahda haben nur vier Parteien Kandidaten in allen 27 Wahlkreisen aufgestellt. Alle gehören zur historischen Opposition zum ehemaligen Diktator Ben Ali. Falls die islamistische EnNahda die Wahlen gewinnen sollte, werden die linken und zentristischen Parteien sich einander annähern und eine Front gegen die Islamisten bilden, schätzen Analysten. Eine Unbekannte sind die Anhänger der alten Staatspartei Ben Alis. Die Ex-Regierungspartei, die heute verboten ist, hat sich in verschiedene Parteien aufgeteilt.

Damit die erste freie Abstimmung nicht ein Sprung ins Ungewisse werde, haben sich Vertreter von elf Parteien aus der Reformbewegung zusammengefunden und eine „Deklaration des Übergangsprozesses“ unterzeichnet, eine Wegbeschreibung, in der sie sich verpflichten, die Dauer der verfassunggebenden Versammlung auf ein Jahr zu begrenzen. Bodo Bost


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