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15.10.11 / Im Schatten des Nachbarschaftsvertrages / Zwei Jahrzehnte nach dessen Unterzeichnung widmet sich eine Ausstellung 1000 Jahren deutsch-polnischer Beziehungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Im Schatten des Nachbarschaftsvertrages
Zwei Jahrzehnte nach dessen Unterzeichnung widmet sich eine Ausstellung 1000 Jahren deutsch-polnischer Beziehungen

Im Martin-Gropius-Bau in Berlin ist bis zum 9. Januar die Ausstellung „Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“ zu sehen. Es handelt sich um eine deutsch-polnische Koproduktion des Hausherren und des Königsschlosses in Warschau. Gefördert wurde das kulturpolitische Projekt durch den Minister für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen und den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Letzterer, Staatsminister Bernd Neumann, ist auch Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung.

Seit dreieinhalb Stunden sieht Konrad R. sich fasziniert in den Räumlichkeiten des Berliner Gropius-Baus um. Und dennoch wäre der ältere Herr gern noch länger bei der Kunst- und Geschichtsausstellung „Tür an Tür – Polen-Deutschland“ geblieben, wenn der abendliche Schlussgong nicht gewesen wäre. „Es war nicht auf einzelne Epochen fixiert“, sagt er zufrieden, „es waren alle Jahrhunderte gleichmäßig vertreten.“ Für das Verständnis mancher der über 800 Ausstellungsstücke waren jedoch sehr gute geschichtliche Kenntnisse notwendig, erklärt er. Dafür bietet die Ausstellung einen Katalog und einen Audioführer mit ausführlichen Informationen zu besonders hervorgehobenen Exponaten an.

Erarbeitet wurde die Ausstellung über die vergangenen 1000 Jahre deutsch-polnischer Geschichte und Kunst durch den Martin-Gropius-Bau und das Königsschloss Warschau, die das Konzept im Zuge der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in diesem Jahr erstellten. Der dazugehörige wissenschaftliche Beirat wird vom polnischen Deutschland-Beauftragten Władysław Bartoszewski geleitet und damit von dem Mann, dem die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, vorwarf, einen schlechten Charakter zu haben. Die politische Unterstützung hätte nicht prominenter sein können: Die Schirmherrschaft übernahmen der polnische Staatspräsident Bronisław Komorowski und Bundespräsident Christian Wulff. In seiner Eröffnungsrede im September beschwor Wulff die „gemeinsamen kulturellen und geistigen Wurzeln“ Polens und Deutschlands. Die Nachbarschaft von Polen und Deutschland sei eine „schwierige Nachbarschaft“ gewesen, „oft geprägt durch Gewalt, Krieg, Teilung und Vertreibung“. Wenn nun in der Ausstellung nach den gemeinsamen Wurzeln gesucht werde, dann sei das nur möglich, weil die Teilung Europas überwunden worden sei, so Wulff.

Die Ausstellung, welche die deutsch-polnischen Beziehungen zum Thema haben soll, beginnt mit Polens erstem Heiligen. Wer den ersten der insgesamt 22 Ausstellungsräume betritt, erlebt zunächst einen martialischen Auftakt: der mit einer Axt enthauptete heilige Adalbert von Prag ist dort zu sehen. Im zehnten Jahrhundert begab sich der Bischof als Missionar ins Land der Prußen, wo er jedoch nach kurzer Zeit von einem Einheimischen umgebracht wurde. Unter dem Ausstellungsstück steht ein Blumenkasten mit Hafer – der Legende nach soll sich Adalberts Blut in Regen für den am Boden wachsenden Hafer verwandelt haben.

Besonders stolz sind die Macher der Ausstellung darauf, dass dank der Unterstützung aus ganz Europa alle zehn erhaltenen Kupferstichmotive und alle bekannten Zeichnungen von Veit Stoß gezeigt werden können. Der Nürnberger Bildschnitzer ging 1477 nach Krakau und arbeitete dort zwölf Jahre lang am Hochaltar der Marienkirche, der als eines der bedeutendsten Flügelretabel des Spätmittelalters gilt. Die Ausstellung zeigt sowohl Werke aus der polnischen als auch aus der deutschen Schaffensperiode des Künstlers, darunter eine Entwurfszeichnung zum sogenannten Bamberger Altar.

Im Lichthof präsentiert die Ausstellung den polnischen Nationalmythos der Tannenberg-Schlacht im Jahre 1410, bei der die polnischen Truppen unter König Władysław II. Jagiełło über den Deutschen Orden siegten. Der Martin-Gropius-Bau wünschte ausdrück­lich, dass das entsprechende polnische Propagandagemälde „Die Schlacht bei Grünfelde“ („Bitwa pod Grunwaldem“) von Jan Matejko gezeigt wird, doch das Nationalmuseum in Warschau vertröstete die deutsche Seite mit der Begründung, dass sich das Gemälde nicht in einem Zustand befinde, das den komplizierten Transport zuließe. Gezeigt wird daher kein Original, sondern eine beinahe originalgroße Kreuzstickerei. 35 Mitglieder des Stickkreises eines Kulturzentrums arbeiteten zwei Jahre an dieser Handarbeit, die 2010 zur Feier des 600. Jubiläums der Schlacht erstmals öffentlich gezeigt wurde. Das größte Stück der Ausstellung ist mit fast vier mal acht Metern „Die preußische Huldigung“. Das ebenfalls von Matejko stammende Gemälde zeigt den Treueschwur von Albrecht von Brandenburg-Ansbach vor dem polnischen König Sigismund I. in Krakau. Dafür erhielt Albrecht als polnisches Lehen das Herzogtum Preußen. Bei dieser Schwerpunktsetzung drängt sich der Verdacht auf, dass der Eindruck erweckt werden solle, Ostpreußen hätte traditionell unter polnischer Oberhoheit gestanden und die dort lebenden Deutschen wären den Polen zur Loyalität verpflichtet. Der Vertrag von Wehlau und der Friedensvertrag von Oliva, in denen bereits im 17. Jahrhundert erst Polen und dann auch die internationale Staatengemeinschaft das Ende des Lehensverhältnisses und die Souveränität der Hohenzollernschen Preußenherzöge anerkannten, wird nicht oder zumindest nicht mit dieser Ausdrück­lichkeit thematisiert.

Wenig später tritt der Besucher in einen atmosphärisch hervorgehobenen Raum ein, der als einziger stark verdunkelt ist und vor allem Bilder des Schreckens enthält – das ist der Raum über den Zweiten Weltkrieg. Zu sehen sind hier unter anderem Originalfotos aus dem Konzentrationslager Auschwitz vom deutschen Maler Gerhard Richter, dazu gemalte Darstellungen von Erschießungen von Andrzej Wróblewski. Eine zur Ausgewogenheit gehörende vergleichbare Thematisierung polnischer Verbrechen an Deutschen im Zweiten Weltkrieg sucht der Ausstellungsbesucher vergebens. Unmittelbar darauf folgt der Raum mit dem Titel „Verlorene Gebiete / Gewonnene Gebiete“. Obwohl der Raum Vertreibungen ins Zentrum stellt, ist er nicht verdunkelt, was die Vertreibungsverbrechen marginalisiert. Die Vertreibung der Deutschen wird nicht ansatzweise mit der Intensität behandelt, die diesem Verbrechen zukommt. Künstlerische Beiträge finden sich hier keine, stattdessen politische Dokumente wie den „Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder“ aus dem Jahre 1965, mit dem die polnischen Bischöfe ihren Willen zur Versöhnung verkündeten. Daneben finden sich westdeutsche Plakate, die die Wiedervereinigung Deutschlands einschließlich der Ostgebiete fordern, gegenübergestellt mit polnischen und DDR-Plakaten. Den Abschluss bilden ein Raum über Kunst und Politik in der Zeit des Kalten Krieges und schließlich ein letzter Raum über Polen und Deutschland in der Europäischen Union.

Das Gästebuch der Ausstellung zeigt überwiegend sehr zufriedene Kommentare. Wenn etwas bemängelt wird, dann geht es meist um politische Aspekte der Ausstellung. Für die Zeit nach 1945 sei „der polnische Standpunkt zu einseitig“ dargestellt worden, beklagt da einer. Bezeichnend wirkt insofern, dass im Veranstaltungs-Faltheft das Thema Vertreibung nicht erwähnt wird. Ein anderer Gästebuch-Schreiber wünscht sich wiederum mehr politische Hintergründe zu Lasten der Kunst, insbesondere über „Hitlerdeutschland, Zweiter Weltkrieg, Antisemitismus“. Wie man die Ausstellung empfindet, hängt daher wohl auch davon ab, ob der Besucher sie vor allem durch die künstlerische oder durch die politische Brille betrachtet – doch das Gesamtfazit der meisten Besucher fiel in Berlin positiv aus. Bis zum 9. Januar besteht noch die Möglichkeit, im Gropius-Bau diese Präsentation von einem Jahrtausend polnischer und deutscher Geschichte und Kunst zu verfolgen. Lion Edler/PAZ


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