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15.10.11 / Marzipan-Arznei / Ein Krankenbesuch ist Balsam für die Seele

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Marzipan-Arznei
Ein Krankenbesuch ist Balsam für die Seele

Direkt vor unserer Haustür beginnt der Park. Eine herrliche Oase mit alten Buchen und Kastanien, mit Jasminsträuchern und Rosenbeeten und einem kleinen See, auf dem Schwäne und Stockenten ihre Bahnen ziehen. Sommers wie winters zieht der Park die Menschen unseres Viertels an. Hier trifft man die alten Damen aus dem nahen Seniorenstift ebenso an wie den fülligen Anwalt, der sich nach Feierabend keuchend durchs Lauftraining quält. Auch ich bin immer wieder einmal im Stadtgarten. Manchmal dient er mir lediglich als Abkürzung auf Besorgungsgängen, oft aber suche ich ihn ganz bewusst auf, um in Ruhe über etwas nachzudenken.

Selten bleibe ich dabei völlig ungestört. Die meisten Parkbesucher kennen mich und ich sie – man grüßt sich, winkt einander fröhlich zu und hält ganz gern auch mal ein ausgiebiges Schwätzchen. Breit gefächert ist dabei das Themenspektrum. Von der quirligen Endvierzigerin erfahre ich, wie man Salsa tanzt, mit der Dame vom Seniorenheim, einer ehemaligen Buchhändlerin und gebürtigen Königsbergerin, tausche ich mich über unsere gemeinsamen Lieblingsautoren aus; und welche Vorzüge die einzelnen Hunderassen besitzen, das erzählen mir die stolzen Halter von Collies und Corgis.

Immer vertrauter wird einem mit der Zeit so mancher Spaziergänger. Man kennt den Rhythmus des Betreffenden, weiß, wann er im Park seine Runde geht und wann nicht. Von daher beunruhigte es mich schon ein wenig, als sich Charlotte, die Buchhändlerin, plötzlich nicht mehr blicken ließ.

Von anderen Heimbewohnern erfuhr ich dann, dass sie bei dem Versuch, die eingeklemmte Gar-dinenstange in ihrem Zimmer zu lösen, übel gestürzt war und sich nun im Krankenhaus befand.

„Wenn wir ein bisschen beweglicher wären, hätten wir sie schon längst besucht. Aber so –“. Achselzuckend deuteten die beiden Damen auf ihre Gehstöcke.

Nun, ich war mobil. Der einzige Grund, der mich von einem Besuch im Krankenhaus hätte abhalten können, war Charlottes etwas eigenbrötlerischer Charakter. So lebhaft und aufgeschlossen sie mir gegenüber im Gespräch auch war – nie suchte sie auf ihren Spaziergängen die Gesellschaft ihrer Hausgenossen. Wohl sah ich sie gelegentlich mit einer der anderen Damen vom Stift kurz ein paar Worte wechseln, im Großen und Ganzen schien Charlotte es aber doch vorzuziehen, allein ihre Runden im Park zu drehen. Wäre mein Besuch also überhaupt willkommen?

Nach kurzem Hin und Her be-schloss ich es zu wagen. Ich kauf-te Blumen und echtes Königsber-ger Marzipan und machte mich auf den Weg ans andere Ende der Stadt.

„Da wird sich Frau Berg aber freuen!“, lächelte die Stations-schwester, als sie erfuhr, zu wem ich wollte. „Gesundheitlich geht es ihr schon viel besser. Aber sie liegt ganz allein auf ihrem Zimmer, da wirkt Ihr Besuch bestimmt wie eine Aufbauspritze!“

Ich war mir da nicht so sicher. Allein die Tatsache, dass Charlotte ein Einbettzimmer gewählt hatte, verriet mir, wie sehr sie das Alleinsein liebte. Doch als ich die Tür öffnete, verflogen alle Zweifel. Charlotte strahlte übers ganze Gesicht: „Ach, wie schön! Dass Sie mich gefunden und den weiten Weg hierher auf sich genommen haben!“

Sie freute sich. Und das machte alle Mühen wett.

Sechs Wochen später traf ich Charlotte im Park. Auf ihren Rollator gestützt, kam sie langsam auf mich zu. „Das Gehen tut noch etwas weh“, lächelte sie. Ihre Stimme klang matt, aber ihre Augen leuchteten. Sie griff nach meiner Hand: „Ihr Besuch hat mir sehr gut getan. – Ich brauche nicht viel Gesellschaft, aber ein gutes Gespräch mit einem vertrauten Menschen – das ist schon Balsam für die Seele.“

Und dann zwinkerte sie mir spitzbübisch zu: „Dass ich alte Ostpreußin schon wieder auf den Beinen bin – das liegt aber sicher auch an dem Kistchen Königsberger Marzipan!“Renate Dopatka


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