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22.10.11 / »Lieber Euro-Austritt als Siechtum« / Kapitalgeber gegen Steuerzahler: Hans-Werner Sinn sieht einen riesigen Vermögenspoker am Laufen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-11 vom 22. Oktober 2011

»Lieber Euro-Austritt als Siechtum«
Kapitalgeber gegen Steuerzahler: Hans-Werner Sinn sieht einen riesigen Vermögenspoker am Laufen

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, ist einer der schärfsten Kritiker der von der Politik betriebenen Griechenland-Rettung um jeden Preis. PAZ-Autor Jean-Paul Picaper fragte ihn, warum er glaubt, dass Griechenland ohne den Euro besser dran ist.

PAZ: Herr Professor Sinn, Sie haben als einer der ersten gefordert, dass Griechenland aus dem Euro raus muss. Stehen Sie noch dazu?

Sinn: Ich habe nicht gefordert, dass Griechenland austritt, sondern gesagt, dass der zeitweise Austritt aus dem Euro-Verbund unter allen überhaupt möglichen Optionen das kleinere Übel für Griechenland selbst ist. Ich will Griechenland nichts vorschreiben. Es muss allein entscheiden. Aber ich denke, der Austritt ist besser für Griechenland selbst. Das ganze Geld, das Griechenland von der Staatengemeinschaft erwarten kann, wiegt die Nachteile eines ewigen Siechtums nicht auf, das diesem Land droht, wenn es im Euro-Raum verbleibt, denn Löhne und Preise sind viel zu hoch und international nicht wettbewerbsfähig. Was nützt das krampfhafte Festhalten am gewohnten Lebensstandard, wenn die jungen Menschen arbeitslos sind und keine Perspektiven mehr haben?

PAZ: Aber ein Mitgliedsstaat darf laut EU-Verträgen nicht aus der Euro-Zone ausgeschlossen werden?

Sinn: Ein Austritt ist mit verschiedenen Begründungen möglich. In der Krise hält sich in Europa sowieso kein Mensch mehr an Verträge. Christine Lagarde hat als französische Finanzministerin mehrfach öffentlich gesagt, dass bei Griechenlands Rettung der Maastrichter Vertrag bewusst gebrochen wurde. Also kann der Vertrag noch mal gebrochen werden, wenn Griechenland aus der Währungsunion austritt, aber in der EU bleiben möchte. Um die Juristen zu befriedigen, könnte man aber so vorgehen: Griechenland erhält einen Sonderstatus, bei dem es formell Mitglied bleibt, doch temporär die Drachme einführt. Wenn es später die Bedingungen für eine Vollmitgliedschaft im Euro-Raum wieder erfüllt, kann es zurückkehren.

PAZ: Es wird immer wieder behauptet, dass eine Pleite Griechenlands wegen des Vertrauensverlusts der Märkte zu katastrophalen Zuständen führen würde. Kanzlerin Angela Merkel spricht vom Dominoeffekt. Kann eine solche Situation eintreten?

Sinn: Den Dominoeffekt gibt es in jedem Fall: Ohne Rettung kommt er über die Bilanzen der Kapitalanleger, mit Rettung über die Bilanzen der Staaten. Einer steckt den anderen an, indem er ihm Lasten überträgt. Als Steuerzahler finde ich die Ansteckung über die Bilanzen der Kapitalanleger angenehmer. Die Märkte werden nervös, weil die Vermögensbesitzer befürchten, dass sie ihre griechischen Staatspapiere nicht an die deutschen und französischen Steuerzahler abgeben können. Die Steuerzahler hingegen werden nervös, wenn die Vermögensbesitzer ihnen die Lasten ihrer Fehlinvestitionen übertragen. Es findet derzeit ein riesiger Vermögenspoker zwischen den Steuerzahlern der soliden Länder und den Banken und Kapitalanlegern statt. Wer die schwächeren Nerven hat, verliert sein Vermögen. Wenn man sich das klar macht, kann man gelassener gegenüber den Drohungen angelsächsischer Medien bleiben. Die City of London mitsamt Teilen ihrer Presse sieht die Welt untergehen, wenn die Steuerzahler der solideren Länder ihnen die Last nicht abnehmen. Sie bluffen aber nur. Nicht die Welt geht unter, sondern nur ihr Vermögen. Nach einem Crash berappeln sich die Märkte meistens schnell wieder.

PAZ: Könnte der Austritt Griechenlands sich positiv auswirken?

Sinn: Wenn Griechenland austräte, all seine Schulden in Drachme umwandeln und dann abwerten würde, könnte das Land einen Neustart probieren. Die Banken und anderen Kapitalanleger würden ihre Wunden lecken, und dann würden auch sie weitermachen. Die Staaten des Westens müssten ihre als systemrelevant eingestuften Banken retten, wie sie es ja als Folge der Lehman-Krise  vereinbart hatten. Es gäbe ein Gewitter, und dann schiene wieder die Sonne. Einen Zusammenbruch des Interbankenmarktes wie nach Lehman halte ich derzeit nicht für die große Gefahr, eben weil die Bankenrettung gesichert ist und weil sich jeder auf diesen Fall ein Jahr lang hat vorbereiten können. Die französischen Banken haben sich größtenteils ihrer griechischen Wertpapiere entledigen können, indem sie sie an die EZB verkauft haben, und der französische Staat wird die Banken, die dennoch gefährdet sind, schützen.

PAZ: Sie haben angedeutet, dass die Währungsunion in ihrem Ansehen gestärkt wird, wenn Griechenland nicht mehr drin ist?

Sinn: Nicht in ihrem Ansehen, sondern in ihrer Funktionsfähigkeit. Die Märkte und die ganze Welt sehen heute, dass der Euro-Raum nicht mehr funktioniert. Was ist das Problem? Es gab im Euro-Raum bis zur Krise eine Zinskonvergenz zugunsten der peripheren Länder. Sie haben sehr viel billigeres Geld als normal bekommen. Die Wirtschaft wurde inflationär aufgebläht. Sie wuchs zwar auch real, aber Preise und Löhne wuchsen nominal noch stärker und weit über das vernünftige Maß hinaus. Es bildete sich eine Seifenblase, die geplatzt ist, als die Kapitalmärkte nicht mehr bereit waren, die Defizite im Außenhandel zu finanzieren. Da sind wir heute angelangt. Die Krisenländer stecken mit den zu hohen Löhnen und Preisen für Güter und für Vermögensobjekte fest und wissen nicht, wie sie die Außenhandelsdefizite weiter finanzieren sollen.

Jetzt versucht die europäische Staatengemeinschaft das Problem zu lösen, indem sie anstelle der privaten Kreditmittel, die in diese Länder geflossen sind, öffentliche Kreditmittel setzt. Das geschieht im Euro-Raum über die EZB, die in den letzten dreieinhalb Jahren bald 550 Milliarden Euro an Krediten in diese Länder gegeben hat. Aber diese Politik zementiert die falschen Löhne und Preise und damit die Leistungsbilanzdefizite. Sie impliziert, dass weiterhin und dauerhaft ein Kreditstrom in diese Länder erforderlich ist. Das ist nicht der richtige Weg. Er leert nur die Taschen der Länder, die diesen Kreditstrom zur Verfügung stellen. Wenn die Taschen leer sind, bricht der Euro zusammen. Wir können das Grundproblem noch ein paar Jahre hinauszögern, aber es wird dadurch nicht kleiner, sondern im Gegenteil immer größer, weil jedes Jahr die Auslandsschuld wächst.

PAZ: Wie kommen wir da raus?

Sinn: Nur indem die Länder, die zu teuer sind, um wettbewerbsfähig zu sein, billiger werden. Das geht entweder, indem im Euroraum die Preise und Löhne gekürzt werden, oder indem man aus dem Euro-Raum austritt und dann abwertet. Das sind die einzigen Möglichkeiten. Alle anderen Lösungen müssen sich dieser Grunderkenntnis unterordnen. Wenn ein kleinerer Abwertungsbedarf da ist, weil das Ungleichgewicht nicht so groß ist – ich denke, das ist bei Spanien oder Italien der Fall −, kann man das Problem in der Euro-Zone lösen, indem man in eine längere Phase der Stagnation geht, in der Löhne und Preise kaum steigen. Aber im Falle Griechenlands gibt es keine Lösung, weil dort Löhne und Preise meilenweit über dem Gleichgewichtsniveau liegen. Griechenland konsumiert 17 Prozent mehr als das Nettonationaleinkommen, und sein Leistungsbilanzdefizit lag zuletzt bei zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die griechischen Preise und Löhne müssten um etwa 30 Prozent billiger werden. Das geht nicht im Euro-Raum, sondern nur außerhalb des Euro-Raums. Bei dieser Lösung würden die Griechen zwar ihre Konten räumen und die griechischen Banken illiquide werden lassen, aber ich glaube, es ist besser, dass die Realwirtschaft überlebt und die Bankbilanzen verbrennen, als dass die Realwirtschaft untergeht, denn dann brennen zusätzlich die Bankgebäude.

Bei einer Abwertung im EuroRaum um 30 Prozent gäbe es bürgerkriegsähnliche Zustände. Denken Sie an Deutschland! Es hatte von 1929 bis 1933 die Preise um 23 Prozent gesenkt. Wir durften wegen des Versailler Vertrages und des Dawes- und Young-Plans nicht abwerten, um zu verhindern, dass die Reparationsleistungen in abgewerteter Reichsmark gezahlt werden. Also musste Deutschland den Weg der rabiaten Sparprogramme gehen. Im Rahmen dieser durch die Brüningschen Notverordnungen dekretierten Sparprogramme sind die Löhne um 30 Prozent und die Preise um 23 Prozent innerhalb von vier Jahren gefallen. Sie wissen, was passiert ist: Deutschland geriet an den Rand des Bürgerkrieges.


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