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05.11.11 / Leidenschaftlicher Vertreter einer Glaubensphilosophie / Der Königsberger Johann Georg Hamann hinterließ in Münster viele Spuren – Neue Publikation erschienen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-11 vom 05. November 2011

Leidenschaftlicher Vertreter einer Glaubensphilosophie
Der Königsberger Johann Georg Hamann hinterließ in Münster viele Spuren – Neue Publikation erschienen

Ein Lay und Ungläubiger kann meine Schreibart nicht anders als für Unsinn erklären, weil ich mit mancherley Zungen mich ausdrücke, und die Sprache der Sophisten, der Wortspieler, der Creter und Araber, der Weißen und Mohren und Creolen rede, Critick, Mythologie, rebus und Grundsätze durcheinander schwatze“, bekannte Johann Georg Hamann (1730–1788) in einem Brief 1759. Und kurz vor seinem Tod, als er plante, seine gesammelten Werke herauszugeben, wollte er seine Schriften noch einmal gründlich überarbeiten – schließlich „gewissenshalber kann ich weder dem Verleger noch dem Publico zumuten, unverständliches Zeug zu lesen“.

Der aus kleinen Verhältnissen stammende Hamann, der in der deutschen Geistesgeschichte jedoch bis ganz nach oben gelangen sollte, klagte über seine Schulbildung: „Unterdessen ich mich wirklich in einigen Dingen weiter befand, als ich es nöthig hatte, so war ich dafür in weit nützlichern und nöthigern ganz zurückgelassen, weder Historie, noch Geographie, noch den geringsten Begriff von der Schreibart, Dichtkunst. Ich habe den Mangel der beiden ersten niemals gehörig ersetzen können, den Geschmack an der letzteren zu spät erhalten, und finden mich in vieler Mühe meine Gedanken mündlich und schriftlich in Ordnung zu sammeln und mit Leichtigkeit auszudrücken.“

Von Leichtigkeit ist nun wahrlich nicht die Rede, studiert man die Schriften des Königsbergers. Selbst Goethe bekannte, Schwierigkeiten beim Lesen der Texte zu haben, dennoch habe er in Hamanns „sibyllischen Blättern“ etwas gefunden, dem er sich „überließ, ohne zu wissen, woher es komme und wohin es führe“. Johann Gottfried Herder, der Freund aus Mohrungen, aber erkannte: „Der Kern seiner Schriften enthält viele Samenkörner von großen Wahrheiten, neuen Beobachtungen und eine merkwürdige Belesenheit; die Schale derselben ist ein mühsam geflochtenes Gewebe von Kernausdrücken, Anspielungen und Wortblumen.“

Hamanns Leben war geprägt von Kontakten zu Immanuel Kant, dessen Schriften Hamann immer wieder kritisierte, zu Johann Gottfried Herder, der ihn bewunderte, zu Theodor Gottlieb von Hippel, dem Oberbürgermeister von Königsberg, mit dem er eng befreundet war.

Die Bedeutung des Denkers vom Pregel für die Literatur- und Geistesgeschichte, der übrigens alle seine Veröffentlichungen nicht unter seinem eigenen Namen erscheinen ließ und sich durch ungewöhnliche Belesenheit und als ausgezeichneter Sprachenkenner auswies, sollte nicht unterschätzt werden. Literaturwissenschaftler gehen heute davon aus, dass die Dunkelheit seines Stils bewusst gewählt worden war, um den Leser zum Nachdenken anzuregen. Als einer der ersten Gegner der Aufklärung ist Hamann aus der deutschen Geistesgeschichte nicht wegzudenken.

Erstaunlich denn auch das Interesse, das Hamann und seine Schriften mehr als 200 Jahre nach seinem Tod gerade heute bei Wissenschaftlern – seien es Theologen, Philosophen, Philologen, seien es Sprach- oder Literaturwissenschaftler – findet. Besonders in den vergangenen Jahren ist eine beträchtliche Zunahme an Veröffentlichungen zu verzeichnen, nicht zuletzt geweckt durch Veranstaltungen zum 200. Todestag des Königsbergers wie das 6. Internationale Hamannkolloquium in Münster und die daran anschließende Ausstellung, die in verschiedenen Universitätsbibliotheken und auch im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg zu sehen war. Renate Knoll von der Universität Münster, die zum 200. Todestag von Hamann eine umfassende Ausstellung konzipierte, schrieb damals im Ostpreußenblatt: „Für Hamann ist Sokrates nicht mehr der barocke ,Fürst der Weltweisheit‘ und auch nicht einfach Herders ,Sokrates der Menschheit‘. Er wertet ihn typologisch-christozentrisch und aktualisiert seine Bedeutung im theologischen Horizont philosophisch-literarischer Selbstbegründung, freier ,Liebhaber der langen Weile‘ zu sein ...“

Auch dieser Tage beschäftigen sich Autoren mit Hamann, dem „Magus in Norden“, wie der Ostpreuße genannt wurde. So hat die Literaturhistorikerin Liselotte Folkerts aus Münster sich eingehend mit Hamann beschäftigt und seine Verbindungen zu der westfälischen Stadt untersucht. „Hamann gehört zu den bedeutendsten Religionsphilosophen deutscher Sprache“, betont Folkerts in ihrer neuen Veröffentlichung, die jetzt unter dem Titel „Ein Vorgeschmack des Himmels. Johann Georg Hamann in Münster und im Münsterland“ erschienen ist.

„Als leidenschaftlicher Verfechter einer irrationalistischen Gefühls- und Glaubensphilosophie trat er der Flachheit des vorkantischen Rationalismus entgegen“, so Folkerts, „und gab der Religion wieder einen bedeutenden Platz im philosophischen Lehrgebäude. Von der Bibel ausgehend wollte er der Aufklärung entgegenwirken. Sein ganzes Streben war dahin gerichtet zu zeigen, dass das Göttliche überall auf Erden zu finden ist.“

Folkerts befasst sich in ihrer Publikation eingehend mit Hamanns Aufenthalt in Münster und mit seiner Wirkung nach dem Tod, der ihn kurz vor der Heimreise in Münster ereilte. Der Königsberger war auf Einladung des Gutsherrn Franz Caspar Bucholtz, einem glühenden Verehrer, nach Westfalen gekommen und hatte dort Kontakt zum „Kreis von Münster“ um die Fürstin Amalie von Gallitzin bekommen. „Der Zirkel“, so Folkerts, „war ohne Einschränkung katholisch, Hamann als einziger evangelisch. Die Fürstin war ihm jedoch sehr zugetan: „... seine ungekünstelte, mir noch nirgends in diesem Grade und in dieser Reinheit erschienene Demut war es besonders, was mir das Christentum in einem neuen, erhabeneren Licht als jemals zeigte …“

Seine letzte Ruhestätte fand Hamann zunächst im Garten der Fürstin, da er als Protestant damals nicht auf einem katholischen Friedhof beerdigt werden durfte. In ihrem Tagebuch vermerkte die Fürstin: „Ein unbeschreiblich süßer Gedanke war mir, die Asche dieses Seligen, großen – so wenig gekannten – in meinem Garten zu bewahren. Ich erhielt es mit Mühe, man drohte mir mit üblen Nachreden, Missvergnügen der Geistlichkeit …“ Seine endgültige Ruhestätte fand der Königsberger schließlich 1853 auf dem Überwasserfriedhof in Münster. S.O.

Liselotte Folkerts: „Ein Vorgeschmack des Himmels. Johann Georg Hamann in Münster und im Münsterland“. Lit Verlag, Münster 2011, 64 Seiten, zahlreiche schwarzweiße Abbildungen, broschiert, 19,90 Euro.


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