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05.11.11 / Väter in der Krise / Warum viele Männer keine Lust mehr auf Kinder haben – Ausflug in die Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-11 vom 05. November 2011

Väter in der Krise
Warum viele Männer keine Lust mehr auf Kinder haben – Ausflug in die Geschichte

Im Zusammenhang mit der Alterung unserer Gesellschaft wird immer wieder die Vaterrolle hinterfragt. In der letzten Zeit hat sie sich enorm gewandelt. Junge Männer sind unsicher, wie sie die Aufgabe des Vaterseins ausfüllen sollen und ob sie diese Aufgabe überhaupt übernehmen wollen. Der in St. Gallen lehrende Philosophieprofessor Dieter Thomä, Jahrgang 1959, und Vater dreier Kinder, bekundet in seinem Buch „Väter. Eine moderne Heldengeschichte“ die Überzeugung, dass die modernen Gesellschaften bei dem Versuch, den Übergang zwischen den Generationen zu organisieren, aus dem Takt gekommen seien. Als begeisterter Vater möchte er mit seinem Buch einen Beitrag dazu liefern, dass der „Fackellauf des Lebens“ wieder in Schwung kommt.

Thomäs Ausgangsthese lautet: In den modernen Gesellschaften funktioniere der „Staffellauf von Alt zu Jung“ nicht mehr, die Familienbande seien brüchig oder zerrissen. Besonders problematisch sei der Jugendwahn, ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wenn sich „jung gebliebene“ Eltern mit ihren Kindern gemein machten, könnten sie ihnen die nächste Stufe ihrer Entwicklung nicht aufzeigen. Dadurch würde der Reifungsprozess der Jugendlichen behindert, eine allgemeine Antriebsschwäche sei nicht selten die Folge. Ohne klare Vorstellungen schlitterten Männer und Frauen, die sich bislang hauptsächlich mit der eigenen Freizeitgestaltung beschäftigt hätten, in das Abenteuer Familie. Es sind dann eher die Männer, die ihr Heil in der Flucht suchen, wenn sie sich überfordert fühlen. Dabei stellt Thomä natürlich nicht in Abrede, dass es auch für Männer schwierig ist, Kind und Beruf gerecht zu werden.

Väter sind erwünscht, ja ersehnt. Kinder bräuchten ihren unbedingten Schutz, bräuchten eine verlässliche Lebenshilfe, damit sie „das Wollen lernen und sich das Können zutrauen“. Wer verstehen will, was wir sind, muss bekanntlich zurückschauen. Ende der 60er Jahre fiel das traditionelle Bild des Vaters als Familienoberhaupt endgültig vom Sockel. Der väterliche Autoritätsverlust hat aber eine viel längere Vorgeschichte, weshalb Thomä eine Art Bilderbogen der Väterkultur geschaffen hat, ausgehend von der frühen Moderne. Als Zeugen des Spielablaufs im „Gesellschaftsspiel der Generationen“ zieht er Schriftsteller, Psychologen und Philosophen heran, von Adam Smith und Alexis de Tocqueville, Jean Paul, Friedrich Hebbel, Dostojewski und Freud bis zu einigen Künstlern und Schriftstellern unserer Zeit, die sich über ihre Vaterbeziehung geäußert haben.

Das ergibt eine höchst anregende Lektüre, bei der nur leider die Stimmen der Frauen fast vollständig fehlen. Mit seiner Begründung für diese ausschließliche Perspektive kann Thomä nicht recht überzeugen. Ausgangspunkt ist für ihn der Angriff auf das Prinzip des Patriarchats, das auf drei Säulen ruhte: göttlicher Vater, Monarch „von Gottes Gnaden“ und Familienvater. Diese stabile, unantastbare Welt- und Gesellschaftsordnung wurde auf Grundlage der Schriften des Aufklärers John Locke (1632–1704) immer stärker in Frage gestellt. Infolgedessen sei auch das Bild des Familienvaters angreifbar geworden.

Der eigentliche Auslöser der Krise des Vaters ist für Thomä aber die Hinrichtung des Königs während der Französischen Revolution. Es stellt sich dabei natürlich die interessante Frage, inwieweit die Abkehr vom unbedingten Glauben an den göttlichen Vater und Weltenlenker fortwährend zu der hier beschriebenen Entwick­lung beigetragen hat. Mit Fortschritt und Emanzipation einher ging die Abdankung, Absetzung oder Verwerfung des Vaters, so lesen wir. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einem regelrechten Ausstiegsszenario der Jugend; die Entwicklung bekam einen neuen Dreh. In Anlehnung an Mitscherlichs These vom „Erlöschen des Vaterbilds“ ist der Autor der Auffassung, dass die Vaterlosigkeit „Teil des Programms der Moderne“ sei. Auch er kennt kein Allheilmittel, aber er wünscht sich, dass wir uns von unserem Jugendkult verabschieden mögen. Idealerweise sei die Familie ein Tummel- und Kampfplatz von Unterschieden. Nur so würden den Heranwachsenden die Übergänge von ihrer Welt zu der Welt der Erwachsenen bewusst.

Dagmar Jestrzemski

Dieter Thomä: „Väter. Eine moderne Heldengeschichte“, dtv, München 2011, kartoniert, 368 Seiten, 12,90 Euro.


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