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12.11.11 / Erdogan wirft sein Netz aus / Mit viel Selbstbewusstsein sammelt die Türkei Verbündete weltweit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-11 vom 12. November 2011

Erdogan wirft sein Netz aus
Mit viel Selbstbewusstsein sammelt die Türkei Verbündete weltweit

Der Wolkenkratzer der „Saphir von Istanbul“ mit seinen 261 Metern Höhe charakterisiert das neue Selbstbewusstsein der Türken. Megaprojekte wie der geplante Bau eines zweiten Bosporus für die Schifffahrt und der Ehrgeiz, die neue Schutzmacht im Nahen Osten und für Nordafrika zu werden, kennzeichnen die Politik von Premier Recep Tayyip Erdogan, der zugleich dem Islam immer mehr Bedeutung einräumt.

Die Re-Islamisierung der türkischen Republik ist in vollem Gange. Die Türkei, einst als „kranker Mann vom Bosporus“ bespöttelt, ist auf dem Weg zur politischen und wirtschaftlichen Großmacht und ihre politischen Führer pochen immer fordernder auch an die Türen der Europäischen Union. Zugleich poliert das Land sein Profil im Mittleren Osten auf, schloss mit Kairo während eines Staatsbesuchs mit einer 268 Mann starken Delegation Milliarden-Euro-Kontrakte ab, während der Westen noch vom arabischen Frühling schwärmte. 

Erdogan, früher ein Verbündeter Israels, kappte in diesem Zusammenhang die enge Verbindung mit Tel Aviv. In der Zypernfrage besteht er selbstbewusster denn je auf den derzeitigen Status und postuliert seinen Anspruch auf die Bodenschätze im Umkreis der Insel. Er entsandte Kriegsschiffe in die Gewässer, um seinen Forderungen Nachdruck zu verschaffen. Er war auch der Erste, der Ägypten, Tunesien und Libyen die Unterstützung seines Landes signalisierte. Der libyschen Übergangsregierung gilt die türkische Republik ohnehin als Mustervorlage für einen eigenen Weg auf der Basis der Rechtsordnung Scharia. Die religiöse, aber auch geschäftlich fundierte Gülen-Bewegung (nach dem Prediger Fethullah Gülen benannt) propagiert eine konservative Auffassung des Islam über eine weltweite Millionen-Anhängerschaft und ist dabei, in der Türkei die Medienmacht zu übernehmen. Sie soll maßgeblich an der Verhaftung hoher Militärs mitgewirkt haben und ist auch in Deutschland stark vertreten. Kritiker sagen ihr nach, sie strebe ein Ende der laizistischen Verfassung an und treibe mit Billigung des stark religiösen Erdogan die Bildung eines islamischen Staates voran.

Nach Osten sicherte sich der schnauzbärtige und fast diktatorisch regierende Machtpolitiker durch Gespräche mit Pakistan ab, schloss einen Kooperationsvertrag mit Russland unter anderem zum Bau von Atomkraftwerken und hob die Visapflicht für Russen teilweise auf. Zudem will Erdogan in Afrika Präsenz zeigen und reiste im August nach Somalia, um dort für den Schwarzen Kontinent allerlei Hilfen zu versprechen. Der Hintergrund: Der Taktiker will sich mit Unterstützung afrikanischer Stimmen in drei Jahren in den UN-Sicherheitsrat katapultieren.

Weniger Erfolg war Erdogan mit der Befriedung Syriens und der Schlichtung im Atomstreit zwischen Iran und dem Westen beschieden. Zwar bescherte der wirtschaftliche Boom des Schwellenlandes weiten Kreisen der Bevölkerung wachsenden Wohlstand, doch Ostanatolien hinkt weiter nach und die Kurdenfrage führte zu neuer Eskalation. In diesem Zusammenhang ist auch die Strafanzeige deutscher Künstler, Wissenschaftler und Politiker gegen Erdogan zu sehen, die dem Premier zum Auftakt seines jüngsten Staatsbesuches in Deutschland Kriegsverbrechen und Vergehen gegen die Menschlichkeit an Kurden vorwerfen. Sie prangern Fälle von Hinrichtungen, Tötung von Gefangenen, Folter und Einsatz geächteter Chemiewaffen gegen kurdische Rebellen an.

Wirtschaftlich geht es der Türkei unter seiner Führung allerdings gut. So wächst das Bruttoinlandsprodukt durchschnittlich um fünf Prozent je Jahr, die Inflationsrate sank stetig, der Verschuldungsgrad des Landes reduzierte sich um gut die Hälfte, die Industrie boomt und ist beispielsweise für die Bundesrepublik ein bedeutender Handelspartner. Konsequent wurde der Fremdenverkehr als Devisenquelle ausgebaut. Die Türkei ist heute eines der Hauptziele für deutsche Touristen. Sicher ist, Ökonomen sähen die Türkei lieber im europäischen Verbund als die Griechen – wären da nicht die offenen Menschenrechtsfragen und die Verfolgung des Christentums auf dem platten Land.      Joachim Feyerabend


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