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12.11.11 / Zerstrittene Minderheit / Bürgerinitiative in Lettland will Russisch als zweite Amtssprache

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-11 vom 12. November 2011

Zerstrittene Minderheit
Bürgerinitiative in Lettland will Russisch als zweite Amtssprache

Seit Anfang November läuft in Lettland eine von der Bürgerinitiative „Muttersprache“ initiierte Kampagne für die Einführung der russischen Sprache als zweite Amtssprache. Mindestens zehn Prozent der wahlberechtigten Bürger müssen zustimmen, damit eine entsprechende Gesetzesvorlage ins Parlament eingebracht werden kann. Rund 155000 Unterschriften müssen bis Ende November zusammenkommen.

Für Wladimir Lindermann, einer der Organisatoren, ist die Unterschriftensammlung eine Antwort auf das Ansinnen lettischer Nationalisten, an allen staatlichen Schulen Lettlands Russisch als Unterrichtssprache zu verbieten. Aber Lindermanns Kampagne droht an der Uneinigkeit der Russen selbst als auch an der Ablehnung der Letten zu scheitern. Laut einer Umfrage im September haben sich 62 Prozent der Bevölkerung gegen Russisch als zweite Amtssprache ausgesprochen.

Nils Ušakow, Chef des pro-russischen „Harmoniezentrums“, der Partei, die aus der Parlamentswahl im September mit 28,4 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft hervorging, distanzierte sich von der Aktion. Ušakows Ansehen unter den Russen hat gelitten, weil seine Landsleute sich von seiner Partei, die als einzige die Interessen der Minderheit offiziell vertritt, verraten und verkauft fühlen. Sie werfen dem jungen Bürgermeister von Riga, wo 50 Prozent der Einwohner Russen sind, vor, aus opportunistischen Gründen die lettische Sichtweise von der „russischen Okkupation Lettlands“ zu teilen, um an der Koalition beteiligt zu werden. Doch die Partei blieb bei der Regierungsbildung außen vor.

Alexander Gaponenko, Präsident des Institute for European Studies (IES), unterstützt die Unterschriftensammlung. Er ist überzeugt davon, dass „Muttersprache“ auch dann kein Gehör im lettischen Saeima finden wird, wenn die erforderlichen Stimmen zusammenkommen. Auch deswegen könnte sich die bislang parteienunabhängige Bürgerinitiative zur politischen Konkurrenzkraft entwickeln, und sich nicht nur für die russische Sprache, sondern auch für die Stärkung des Selbstbewusstseins der Minderheit einsetzen.

Die Bürgerinitiative sieht den Erfolg ihrer Aktion hauptsächlich durch die Trägheit und „Käuflichkeit“ ihrer Landsleute gefährdet, denn die meisten Russen haben sich mit ihrer Situation als Staatenlose in Lettland bequem eingerichtet. Nachdem Lettland Anfang der 90er Jahre seine Souveränität wiedererlangt hatte, verlor die russische Sprache ihre dominierende Stellung, Lettisch wurde alleinige Amtssprache. Damals lag der Anteil der Russen an der Bevölkerung bei 34 Prozent, heute ist er auf 30 gesunken. Russen, die sich nicht einbürgern ließen, wurden staatenlos. Weil der Einbürgerungsprozess an Sprach- und Verfassungskundetests gebunden ist, die von den meisten Russen als zu schwer empfunden werden oder sie ihn aus Desinteresse oder prinzipiellem Widerwillen ablehnen, ziehen sie es vor, „Nicht-Bürger“ zu bleiben. Sie erhalten eine Art Aufenthalts-pass, mit dem sie ein Visum beantragen können, das sie anderen EU-Bürgern gleichstellt. Mahnungen seitens der EU haben dazu geführt, dass Lettland verstärkte Bemühungen unternimmt, die Einbürgerungsquote zu erhöhen.

Nun setzen auch die Bürgerrechtler auf die EU. Sollte das lettische Parlament ihre Unterschriftensammlung nicht berücksichtigen, wollen sie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen. Manuela Rosenthal-Kappi


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