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12.11.11 / Die mit dem Tod tanzen / Lübecker Totentanz von Bernt Notke ist einer der eindrucksvollsten Interpretationen des makabren Reigens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-11 vom 12. November 2011

Die mit dem Tod tanzen
Lübecker Totentanz von Bernt Notke ist einer der eindrucksvollsten Interpretationen des makabren Reigens

Der Gedanke an den Tod wird heute verdrängt. Im Mittelalter war er allgegenwärtig. Dass der Tod jeden, ohne Ansehen der Person, dahinrafft, ist die Botschaft des Totentanzes. Die Kunstform des „Danse macabre“ entstand in Folge der Pestepidemien in Europa.

Die Idee war gut, aber es kam ganz anders, als der Kirchenvorstand von St. Marien gedacht hatte. In Erwartung eines Angriffs der Royal Air Force ließen die Lübecker Kirchenmänner den wertvollsten Schatz des Gotteshauses, den Totentanz-Fries, im Frühling des Jahres 1942 mit stabilen Brettern vernageln. Luftmarschall Sir Arthur Harris („Bomber-Harris“) setzte aber beim Angriff auf Lübeck zum ersten Mal Brandbomben ein. Der Feuersturm an Palmarum, dem letzten Sonntag vor Ostern, fand in der Holzverkleidung des Figurenzyklus zusätzliche Nahrung. Was innerhalb von Minuten zu Asche und Staub verfiel, war allerdings nicht mehr das Original von Bernt Notke aus dem 15. Jahrhundert. Die Nässe der Kirchenmauern hatte das Werk des im pommerschen Lassan geborenen bedeutenden Bildhauers und Malers längst zerstört, die 1701 entstandene Kopie wurde nun ein Opfer des Feuers.

Der Ruhm des Lübecker Totentanzes aber blieb. Er gilt als die wohl eindrucksvollste Interpretation dieses makabren Reigens, zu dem der Tod die Menschen ohne Unterschied, ohne Ansehen ihrer gesellschaftlichen Stellung auffordert. Er reicht dem Papst, dem Kaiser, dem Edelmann ebenso wie dem Bauern oder dem Leibeigenen seine knöcherne Hand.

„To dessem Dansse rope ik alghemene, Pawest, Keiser und alle Creaturen, Arme, rike, grote un de klene. Tredet vort, wente nu en helpet nen truren.“ So lautet einer der Verse in mittelniederdeutscher Sprache, die unter dem Fries standen. „Zu diesem Tanz rufe ich alle miteinander, Papst, Kaiser und alle Kreaturen, arm reich groß und klein. Tretet hervor, denn euch hilft kein Trauern.“

Es half kein Widerstreben, kein Flehen, als die erste Pestepidemie Mitte des 14. Jahrhunderts Europa befiel und ganze Landstriche entvölkerte. Flüchtlinge aus dem Schwarzmeerhafen Caffa (heute Feodosia) hatten den Schwarzen Tod über Genua eingeschleppt. Bei der Belagerung Caffas war im Heer der Tataren die Pest ausgebrochen. Um den Widerstand der Stadt zu bezwingen, schleuderten die Angreifer ihre Pesttoten über die Stadtmauern. Die grauenvolle Attacke ging als erster Fall von bakteriologischer Kriegsführung in die Militärgeschichte ein.

Unter dem Eindruck des Schwarzen Todes, dem Schrecken des Mittelalters, schmückten Künstler die Wände von Abteien und Beinhäusern mit dem „Danse macabre“. Die älteste noch erhaltene Bilderfolge befindet sich in der Abtei von La Chaise-Dieu in der Auvergne. Von Frankreich aus gelangte die Darstellung der To-tentänze über das damalige Zentrum der Maler und Holzschnitzer, das flämische Brügge, bis in den Ostseeraum. Um 1460, als Bernt Notke den Auftrag zur Schaffung eines Totentanzes in St. Marien erhielt – laut Chronist von einem „Ahnungsvollen“ –, war Lübeck schon mehrfach von der Pest heimgesucht worden. Noch während der Meister und seine Schüler in der Dämmerung des Beichthauses die Farben auftrugen, marschierte der Tod abermals nach Norden. 1463 vollendete Notke sein Werk, einen 26 Meter langen Fries mit unterlegten Versen. 50 lebensgroße Figuren aller Stände und Hierarchien vollführen mit sich windenden und biegenden Gerippen einen zwanghaften Reigen. Im Hintergrund erhebt sich die Silhouette der Hansestadt, von der es nun Abschied nehmen heißt. Im Zwiegespräch mit dem Tod beklagen die Sterbenden ihr Schicksal: „O Dot, wo schall ick dat verstan, ik schall danssen unde kann nich ghan.“ – „Oh Tod, wie soll ich das verstehen, Ich soll tanzen und kann doch nicht gehen.“. 1464 wurde der Totentanz in Lübecks Mauern Realität, die nächste Pestwelle hatte die Stadt erreicht und raffte schätzungsweise jeden zweiten Bewohner dahin.

Der Totentanz sollte den Gläubigen eindringliche Mahnung und Trost zugleich sein. Nur ein gottgefälliges Leben konnte sie vor der Hölle bewahren. Das Tröstliche am Tod war, dass er alle Menschen gleich machte, die Reichen und Mächtigen mit den Armen und Schwachen und denen eine Erlösung aus der starren Ständegesellschaft des Mittelalters verhieß. Voraussetzung aber waren das Bereuen und die Vergebung der Sünden. Deshalb wurden die

Totentänze oft in der Nähe der Beichtkapelle platziert, in Lübeck wie auch in der Berliner Marienkirche und in der Dominikanerkirche zu Straßburg. Fragmente eines Totentanzes von Bernt Notke sind noch in der Nikolaikirche von Reval erhalten.

Auch als der „Schwarze Tod“ längst besiegt war, blieb der Totentanz ein vielfach variiertes Motiv in der Kunst. Von Johann Wolfgang v. Goethe bis Stephen King, von Lovis Corinth bis Alfred Hrdlicka, von Camille Saint-Säens bis Hugo Distler: Sie alle haben sich mit diesem Thema beschäftigt. Auch die Disney Studios leisteten einen skurrilen Beitrag. Den Zeichen- trickfilm „Skeleton Dance“ von 1929 kann man sich im Internet ansehen.

Um Ordnung in all das Gerassel und Gehüpfe der Gebeine zu bringen, gründeten Wissenschaftler in den 70er Jahren die „Europäische Totentanz-Vereinigung“. Sie verfügt über ein umfangreiches Archiv und stellt jeden Monat den „Totentanz des Monats“ ins Netz. Als die Vereinigung (Kontakt: webmaster@totentanz-online.de) vor einigen Jahren in Lübeck tagte, standen die Mitglieder ehrfurchtsvoll und wehmütig vor dem Totentanz in der Marienkirche. Die Bilderfolge im nördlichen Seitenschiff ist nur eine blasse Reproduktion nach Fotografien aus den Vorkriegsjahren. Die Wucht und die Eindringlichkeit des Originals lassen sich aber immer noch erahnen.   Gisela Groth


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