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12.11.11 / Sie kam nie wieder zurück / Das Unglück kündigte sich durch schlecht Omen an: Dreimal kippte die Braut während der Hochzeit um, das Blumenkind tötete Küken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-11 vom 12. November 2011

Sie kam nie wieder zurück
Das Unglück kündigte sich durch schlecht Omen an: Dreimal kippte die Braut während der Hochzeit um, das Blumenkind tötete Küken

Es ist wohl schon 70 Jahre her, Oma lebte noch und Ehrentraut war eine kleine Marjell. Eine Hochzeit stand mal wieder ins Haus – Cousine Helene wollte heiraten. Der Bräutigam war ein schmucker Major, gut für eine Prinzessin. Haben wollte er aber nur Helene, die eher begrenzt hübsch war. Wenn er noch ein bisschen gesucht hätte, wäre er – was hübsche Mädchen anbelangt – unter den Cousinen vielfach fündig geworden. 

Schon Wochen vor dem großen Tag hing Lenes Hochzeitskleid an der Garderobe, gut sichtbar für jeden. „Lene fordert das Schicksal ja geradezu heraus“, sagte Ehrentrauts Mama. „Kreti und Pleti können sich das Kleid ansehen, sogar der Major. Jeder weiß, dass das Unglück bringt.“ Um die Katastrophe noch größer zu machen, sagte Helenes Schwiegervater seine Teilnahme an der Hochzeit ab. (Ungeliebte Schwiegertochter, dazu noch unvermögend). Ganz fatal für ihn war, dass die Braut durch ihre bloße Anwesenheit eine zwischen dem Major und seiner Cousine Martha bereits geschlossene Verlobung zerstört hatte.

Ehrentrauts Oma, Helenes Tante Emilie, war auch in diesen Kladderadatsch verwickelt: Sie hatte Lene die Hochzeitsfeier geschenkt. Schließlich war ihr Bauernhof groß genug, all die Gäste aus beiden Familien zu bewirten. Tanten, Onkel, Vettern, Cousinen, Schwägerinnen und Schwager, Schwestern und Brüder und natürlich den kleinen Nachwuchs.  Die Nachbardörfer rundherum waren entvölkert.

Die Hochzeitsfeier sollte auf jeden Fall im Monat Mai stattfinden, die Scheune konnte sehr schön geschmückt werden und auch sonst gab der Garten einiges her – wenn auch weitestgehend aus dem Vorjahr in Weck-Gläsern. Auf der Tenne in der Scheune waren Tische und Stühle aufgestellt. 127 Teilnehmer wurden fabelhaft untergebracht.

Vorher aber mussten die Formalitäten erledigt werden. Das Standesamt lag im Nachbardorf und Tante Emilie stellte Pferd und Wagen zur Verfügung – selbstverständlich geschmückt.

Brautpaar und Trauzeugen fuhren rechtzeitig ab und kamen, bis auf wenige Ausnahmen, pünktlich in die Kirche, die bis zum letzten Platz mit Gästen gefüllt war. Die meist weiblichen Gäste flüsterten und steckten die Köpfe zusammen, denn Kleid, Frisur, Schleier und Schleppe waren es wert, darüber zu sprechen. „Wie ein Engel, dazu schlank und durchgeistigt. Und dann der Major in schmucker Uniform, ein wunderschönes Brautpaar.“

Störend war der kleine Junge, der Blumen streuen sollte, was er schlankweg ablehnte – schöne Blumen schmeißt er nicht auf die Erde! Als er das gefüllte Körbchen hinter seinem Rücken verstecken wollte, kippte er die Blumen aus. Zum Streuen gab es jetzt nichts mehr, Tränen und Trostworte waren angesagt.

Für eine kurze Zeit war die engelsgleiche Braut kein Thema. „Wenn das man kein Unglück bringt“, war die einhellige Meinung.

Nach dieser kurzen Unterbrechung konnte es weitergehen. Lene hing ziemlich erschöpft am Arm des Bräutigams und strauchelte mehr als einmal. Engelsgleich und gottergeben sah sie immer wieder durch den hübschen Schleier hoch zu ihrem Bräutigam.

Als dann die eigentliche Trauung zu Ende war, kippte die Braut ohne Vorwarnung um. Der nagelneue Ehemann, mit Lene auf dem Arm, rannte durch die Kirche und rief in einem fort: „Ein Arzt, ein Arzt, ist hier denn kein Arzt.“ Von all dem Schütteln kam die vor wenigen Minuten vom Fräulein zur Frau gemachte Lene wieder zu sich, wollte aber unbedingt auf den Armen ihres Ehemannes bleiben. So schnell wie möglich wollte sie zu Tante Emilie und mit „all den lieben Gästen feiern“.

Die frischgebackenen Eheleute bestiegen die Kutsche und alle Gäste machten sich auf den Weg, um nichts zu verpassen. „Schwanger und todkrank“ sah Lene aus. Da war man sich einig.

Neugierige Frauen, aber auch bienenfleißige brachten alles, was Haus und Keller hergaben: Salzkartoffeln und Spanferkel, Salate bis Kaisergemüse, Himbeersoße und Kirschkompott mit Vanillepudding und so manches mehr. „Und Gemüse gibt es, Gemüse, so viel Gemüse gibt es“, sagte eine alte Tante immer wieder.

Wieder und wieder war Helene das Gesprächsthema. Und plötzlich kippte sie wieder um. Jeder wollte helfen, war aber nur im Weg – dafür war der Major jetzt zuständig. Tante Emilie haute kräftig auf den Tisch, bei diesem Lärm verstand man das eigene Wort nicht, denn kurzfristig wollte sie gern ihr Bett zur Verfügung stellen. Gerade als sie den Weg dahin beschreiben wollte, kam der kleine Junge, der die Blumen nicht streuen wollte, freudestrahlend und ein Küken zeigend, den Hals mit kräftigem Händchen umschlossen. „Heinz hat viele gemacht, Oma“, sagte er und zog mit freier Hand die Oma zum Hof, wo er stolz auf einen Haufen toter, gelber Küken zeigte.

Seine Oma blieb in der Senkrechten, seine Mutter war weiß um die Nase und rang um Fassung. Eine Cousine fiel in Ohnmacht. Wieder gelang es dem kleinen Jungen, eine kleine Minute zum Entspannen für das Brautpaar zu schaffen. Die Braut lag auch jetzt in den Armen des Majors, der immer noch gut aussah, kein bisschen derangiert.

An anderer Stelle wurde verhandelt, wer die Beerdigung der hingemordeten Küken übernehmen sollte. Der Bruder des Majors fühlte sich zuständig. Mit einer Forke wurden die „Vielen“ in einen Korb geschaufelt, hinter der Scheune in ein tiefes Loch geschüttet und gnädig mit Sand zugedeckt. „Und fertig ist die Laube“, sagte der kleine Massenmörder und klatschte in die Hände.

Die Hochzeitsgesellschaft wandte sich wieder dem Thema Lene zu. Diese wollte aber nur noch nach Hause. Mit zartem Stimmchen und schwachem Lächeln bedankte sie sich bei ihren Lieben, die sie und ihren Gatten so reich beschenkt hatten. Mit kraftlosem Händchen winkte sie der Gesellschaft zu. Am Arm ihres Gatten wankte sie auf matten Füßen zur Kutsche und fuhr nach Hause.

Zurückgekommen ist sie nie wieder. Genau zwei Wochen später war sie tot, ganz und gar nicht schwanger, dafür mit Schwindsucht behaftet. Das hübsche Hochzeitskleid war ihr Totenhemd.           Margot Gehrmann


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