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19.11.11 / »... und wenn es nur gute Verse sind ...« / Ruhelos, aber wirkmächtig: Dem Dichter Heinrich von Kleist zum 200. Todestag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-11 vom 19. November 2011

»... und wenn es nur gute Verse sind ...«
Ruhelos, aber wirkmächtig: Dem Dichter Heinrich von Kleist zum 200. Todestag

Zerrissenheit, Unruhe und vor allem Unsicherheiten kennzeichnen das Leben des Dichters und Erzählers Heinrich von Kleist. Dieser Tage gedenkt man des 200. Todestages des Dichters.

Nahezu symbolträchtig beginnt diese Zerrissenheit schon mit seinem Geburtsdatum. Unklar ist, ober er wirklich – wie das Kirchbuch vermerkt – am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder zur Welt kommt, oder bereits am 10. Oktober, wie er selbst in einem Brief aus dem Jahr 1800 korrigiert.

Ständige Ortswechsel, vielfältige Unternehmungen und noch mehr Ideen der verschiedensten Art machen den Weg Kleists aus. Gerade das „Kleist-Jahr“ 2011 gibt Anlass zum Erscheinen einer größeren Zahl neuer Biografien sowie für Veranstaltungen, die eine Annäherung an das Phänomen Heinrich von Kleist versuchen. Um mehr als eine Annährung kann es sich jedoch nicht handeln – zu komplex und widersprüchlich ist die Persönlichkeit. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Überlieferung nicht lückenlos ist. Auch die Gründe für den Freitod, welchen er am 21. November 1811 gemeinsam mit seiner Vertrauten Henriette Vogel suchte, geben weithin Anlass für Spekulationen. Gescheitert fühlt er sich und doch inszeniert er den Selbstmord am Kleinen Wannsee in einer seltsam anmutenden Euphorie. Zumindest wollte er selbst es so für die Nachwelt überliefert wissen.

Heinrich von Kleist tritt – wenig überraschend für einen preußischen Offizierssohn – zunächst in das Heer ein und nimmt 1793 an der Belagerung von Mainz teil. Ab 1795 steht er für vier Jahre im Garnisonsdienst in Potsdam. Die Zeit beim Militär betrachtete er später als verlorene Jahre. Dem ist allerdings nur bedingt zuzustimmen, denn kriegerische Auseinandersetzungen, zumindest im weiteren Sinne, sollten das Rückgrat seiner Dichtungen bilden. Folgt man dem Kleist-Forscher Hans Joachim Kreutzer, so war er sogar „ein Kriegsdichter par excellence“. Die Schriftstellerei, die sein letztes Jahrzehnt prägt, ist allerdings auch das einzig Stabile und Verbindende in diesem Leben.

1799 nimmt Kleist seinen Abschied. Für drei Semester studiert er in Frankfurt an der Oder. Offiziell belegt er Jura, widmet sich aber größtenteils anderen Fächern: Neben der Philosophie hat es ihm vor allem die Physik angetan. Er träumt davon, ein hydrostatisches Tauchboot zu bauen und überträgt für sich das Gesetz der polaren Kontaktelektrizität von der Naturwissenschaft in die Sphäre der Moral. Kleist zufolge verhalten sich Menschen in ihren Anziehungs- und Abstoßungskräften wie elektrische Körper. Er denkt sogar über die künstliche Erzeugung eines lebendigen Körpers nach. Noch im Oktober 1810 veröffentlicht er Pläne einer „Wurf- oder Bombenpost“. Das Studium bricht er nach drei Semestern ab. Er reist, lässt sich nieder und geht dann doch wieder weg. Freundin und Begleiterin ist ihm oft seine Halbschwester Ulrike, die ihn auch materiell unterstützt. Ansonsten sind seine Beziehungen eher unstet. 1800 verlobt er sich mit Wilhelmine von Zenge, zwei Jahre später wird diese Verbindung wieder gelöst. Nach Dresden reist er, nach Paris, in die Schweiz. Und immer wieder schreibt er. Er sucht und findet Kontakte zu Literaten und Dichterkreisen. In Oßmannstedt hält er sich eine Weile bei Christoph Martin Wieland auf, der den jungen Dichter sehr schätzt. Goethe hingegen hält nicht allzu viel von Kleist.

Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Berlin und einer Ausbildung im Finanzdepartement nimmt Kleist im Mai 1805 eine Tätigkeit an der Kriegs- und Domänenkammer in Königsberg auf. Hier hält es ihn vergleichsweise lange, er besucht auch Vorlesungen von Christian Jakob Kraus, der vehement die Ideen von Adam Smith vertritt. Im Januar 1807 wird er im französisch besetzten Berlin verhaftet und unter Spionageverdacht in Frankreich inhaftiert.

Aus dieser Zeit ist ein Brief an Wieland überliefert: „Die ganze Veränderung mindestens, die ich dadurch erleide, besteht darin, daß ich nunmehr in Joux, statt in Dresden oder Weimar dichte; und wenn es nur gute Verse sind, was gilt dann das Uebrige?“ Vieles spricht dafür, dass diese Aussage des ruhelosen Dichters mehr ist als ein Schönreden der mehrmonatigen Gefangenschaft.

Zwei Orte sind für sein Wirken in der folgenden Zeit bedeutend: Ab August 1807 ist er in Dresden ansässig. Wohl auch aufgrund der hier entfalteten Produktivität – unter anderem begründet er das Journal „Phoebus“ – wird die These vertreten, sofern Kleist überhaupt eine Heimat gehabt habe, sei dies die sächsische Hauptstadt gewesen. Im April 1809 verschwindet Kleist  sozusagen, die folgenden Monate seines Lebens liegen weitgehend im Dunkeln. Ab Februar 1810 hält er sich in Berlin auf – bis zu seinem Tod.

Die große Wertschätzung ist Kleist zu Lebzeiten versagt geblieben, er selbst fühlt sich – vor allem am Ende – verkannt und einsam.

Erst nach dem Tod ist es ihm vergönnt, in hohem Maße durch das zu wirken, was ihm am wichtigsten war: seine Dichtungen und Erzählungen, die bis heute aufgeführt und gelesen werden. Dies gilt für „Das Käthchen von Heilbronn“ ebenso wie für „Michael Kohlhaas“, „Die Marquise von O…“ und das Drama in fünf Akten „Prinz Fried-rich von Homburg“.

Eine unglaubliche Faszination geht vor allem von den tragischen Helden aus, die Heinrich von Kleist – mit den Worten des Germanisten Günter Blamberger – „in Krisen und Katastrophen treibt und dabei die Welt zur Kenntlichkeit entstellt“.                    Erik Lommatzsch


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