19.04.2024

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19.11.11 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-11 vom 19. November 2011

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

das ist ein Stoff, aus dem Romane geschrieben werden, eine Familiensaga, die auf alter Tradition beruht und deren Schicksale sich im Ungewissen verlieren. Und ich wusste, als ich den Brief von Herrn Klaus-Jürgen Rosocha aus Erftstadt-Lechenich las, dass ich die von ihm geschilderten Vorgänge aus seiner eigenen Familiengeschichte nicht mit wenigen Worten abtun konnte. Seine Überlieferungen machen altes ostpreußisches Volkstum lebendig, transferieren es in die Gegenwart und führen weiter zur Spurensuche – geradezu maßgeschneidert für unsere Ostpreußische Familie. Beginnen wir also ohne Umschweife mit der Vorgeschichte, so wie Herr Rosocha sie aufgeschrieben hat!

„Der Landwirt Friedrich Bahr aus Gurkeln, verheiratet mit Juste Wylucki, fand Mitte des 19. Jahrhunderts auf seinem Anwesen im Torfbruch einen sehr großen Eichenstamm, der durch die jahrhundertelange Lagerung im Moor eine durch und durch schwarze Färbung angenommen hatte. Er bewahrte ihn jahrelang in seiner Scheune zum Trocknen auf und hatte die Absicht, aus dem Holz dieser Mooreiche für seine drei Töchter eine sogenannte ,Brauttruhe‘ für die Aussteuer anfertigen zu lassen. Er verstarb jedoch frühzeitig und so setzte seine Frau Juste das Anliegen ihres Mannes um. Sie ließ im Jahre 1860 drei gleich aussehende Aussteuertruhen aus dem Holz der Mooreiche anfertigen. Die Tischlerarbeiten wurden wahrscheinlich von einem ortsansässigen Zimmermann vorgenommen, die eisernen Beschläge hat wohl ein Schmied in Lötzen oder Nikolaiken angefertigt. Sie schufen wahre Meisterstücke masurischer Volkskunst. Ich selber konnte eine dieser Brauttruhen bei meinen zahlreichen Aufenthalten auf dem Hof meiner Großeltern in Rudowken bewundern. Der weitere Weg dieser Brauttruhen lässt sich gut verfolgen.

Die erste Tochter, Amalie Bahr, *9. Januar 1837, heiratete am 15. Juni 1864 den Landwirt Adolph Posegga aus Rudowken und so kam die Truhe zunächst auf diesen Hof. Am 12. Juni 1878 wurde deren Tochter Marie Ottilie Posegga geboren, die 1904 den Landwirt Emil Pochwalla, ebenfalls aus Rudowken, heiratete und die dem Willen ihres Großvaters entsprechend die Aussteuertruhe auf den Hof Pochwalla mitnahm. Dort stand sie hoch geachtet an einem Ehrenplatz des Hauses und sollte als Hochzeitsgabe an die jüngste Tochter Charlotte weitergegeben werden. Es kam anders: Im Januar 1945 besetzte die russische Armee Rudowken und Ottilie und Emil Pochwalla kehrten nach kurzer erfolgloser Flucht im Februar wieder auf ihren Hof zurück. Sie lebten dort mit einer zugewiesenen polnischen Familie bis zur illegalen Ausreise im Jahr 1947. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Truhe auf dem Hof. Er steht heute nicht mehr, selbst die Grundmauern sind nur noch zu erahnen. Das Ehepaar verstarb fern der masurischen Heimat, Emil Pochwalla im Alter von 84 Jahren, Marie Ottilie Pochwalla mit 97 Jahren in Neustadt an der Weinstraße. Was wurde aus der Brauttruhe? Niemand weiß es.

Auch das Schicksal der zweiten Brauttruhe ist unbekannt. Die zweitälteste Tochter von Friedrich und Juste Bahr, Katharina, heiratete den Landwirt Gottlied Kempa aus Fasten und so nahm die für sie bestimmte Truhe den Weg an den am Klein-Jauer-See gelegenen Hof. Danach bekam Katharinas Tochter Auguste, als sie als Braut von Ludwig Baranski das Elternhaus verließ, die Hochzeits­truhe mit nach Ludwigshof. Von hier aus begleitete die Truhe Augustes Tochter Marie, als diese mitten im Ersten Weltkrieg den Lehrer Waltz heiratete, nach Sensburg. Dann sollte die Truhe mit Tochter Christel den Weg in die fünfte Generation fortsetzen, aber es kam anders. Beim Russeneinfall musste Marie Waltz ebenfalls flüchten. Nach meinen Recherchen hat das Haus Treudankstraße 5 den Krieg überlebt, soll aber zu einem späteren Zeitpunkt abgerissen worden und an gleicher Stelle – jetzt Mragowo, ul. Dziek­czynna 5 – wieder aufgebaut worden sein. Maria Waltz verstarb 92jährig 1981 in Delmenhorst.

Die Geschichte der dritten Truhe, die den Bahr-Hof mit der jüngsten Tochter verließ, ist schnell erzählt. Nach deren Heirat mit dem Landwirt Golz aus Dombrowken, Kreis Johannisburg, ging die Hochzeitstruhe schon bald nach der Übersiedlung bei einem Brand unwiderruflich verloren.“

Soweit die Geschichte der drei Truhen, wie Herr Rosocha sie verfolgen konnte. Bisher – denn zwei dieser Meisterstücke des Kunsthandwerks sind zwar verschollen, aber vielleicht noch irgendwo vorhanden. Vor allem interessiert ihn der Verbleib der ersten Truhe, denn er ist der Enkel von Emil und Marie Ottilie Pochwalla. Seine Mutter Hedwig Rosocha geb. Pochwalla wäre als ihre Tochter die nächste Erbin gewesen. Herr Rosocha hat sich in der Vergangenheit ständig bemüht, etwas über das Schicksal der beiden nach 1945 noch verbliebenen Brauttruhen zu erfahren. Er hat viele Museen in Masuren angeschrieben und sich mit einigen deutsch-polnischen Heimatverbänden der Kreise Sensburg und Lötzen in Verbindung gesetzt. Er ist in die Heimat seiner Eltern gereist und hat die heimatkundlichen Museen im Raum Sensburg, Lötzen und Rastenburg durchsucht, aber keine der Brauttruhen gefunden. Noch immer schwingt ein hoffnungsvoller Ton mit, wenn er schreibt: „Obgleich ich bisher nicht am Ziel meiner Wünsche, unsere Truhe aufzufinden, angekommen bin, so ganz habe ich die Hoffnung auf einen Erfolg noch nicht aufgegeben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein derart schönes Stück aus Unkenntnis über den wahren Wert den Weg in den Ofen oder auf die Müllhalde gefunden hat.“

Dass es sich bei diesen Brauttruhen wirklich um besonders schöne Arbeiten masurischer Handwerkskunst handelt, hat noch zu Friedenszeiten ein bekannter ostpreußischer Historiker bestätigt. Dr. Walter Schlusnus besuchte nämlich im Rahmen seiner Forschungsarbeiten über altes Volksgut im südlichen Ostpreußen die Großeltern von Klaus-Jürgen Rosocha auf deren Hof in Rudowken und entdeckte dort die erste Truhe. Er versuchte, dieses schöne Stück für das Heimatmuseum in Königsberg zu gewinnen, aber die damalige Besitzerin, Großmutter Marie Ottilie, lehnte aus verständlichen Gründen sein Angebot ab. Dr. Schlusnus begutachtete die Truhe gründlich, hat sie vermessen und auch Fotografien angefertigt, sodass sie nun wenigstens im Bild erhalten blieb. Er schrieb über seinen Fund im „Masurischen Volkskalender“ (Ausgabe 1938 oder 1939):

„Ein wahres Kunstwerk handwerklicher Arbeit der Heimat stellt die schon im vorjährigen Volkskalender erwähnte Truhe aus Alt-Rudowken, Kreis Sensburg, dar, von der sich ein Schwesternstück in einer Sensburger Familie befindet. An dieser Truhe kann man deutlich die Tradition eines tiefen volkskundlichen Sinngehaltes und hoher handwerklicher Wertarbeit nachweisen. In mächtigen Ausmaßen hat sie ein Zimmermann aus Gurkeln, Kreis Sensburg, aus dunkler Eiche gezimmert. Weiße Einlegearbeiten verzieren die durch Eisenbänder aufgeteilten Flächen. Deckel- und Eckbeschläge zeigen eine gediegene und formschöne Handschmiedekunst. Der bedeutungsvolle Sinnbildgehalt des schmiedeeisernen Schlosses entspricht der besonderen Einschätzung und Bestimmung dieser beiden Truhen. Im vorjährigen Masurischen Volkskalender ist auch schon über den Sinnbildgehalt dieses Truhenschlosses gesprochen worden. Das ganze Leben in seiner Tiefe soll in diesem Kunstwerk versinnbildlicht werden.“

Dr. Schlusnus erwähnt also einen Vorjahreskalender, in dem er besonders auf die Schmiedearbeiten eingegangen ist. An diesem Artikel ist Herrn Rosocha sehr gelegen, damit er die Ausführungen des Heimatforschers ergänzen kann. Da nun der Jahrgang des Kalenders, in dem der zweite Beitrag erschien, nicht einwandfrei feststeht, müsste es sich also um die Ausgaben von 1937 und 1938 handeln. Die Frage geht nun an unsere Leserinnen und Leser, ob sie wissen, wo Exemplare dieser Jahrgänge des Masurischen Volkskalenders noch existieren könnten. In Privatbesitz dürften sich kaum welche befinden, es kämen also Volksmuseen, Heimatstuben oder Archive infrage.

Die Hauptsuche richtet sich natürlich auf die beiden Truhen. Herr Rosocha setzt da auf unsere Ostpreußische Familie, wenn er schreibt: „Ihre Kolumne wird doch von sehr vielen Menschen gelesen und vielleicht ist auch der eine oder der andere dabei, der mir durch Hinweise – welcher Art auch immer – bei meiner Suche weiterhelfen kann. Ich möchte auch ausdrücklich betonen, dass es mir bei der Suche nicht um die Verfolgung irgendwelcher Besitzansprüche geht. Vielmehr wünsche ich mir, dass dieser wertvolle Gegenstand handwerklicher masurischer Kunst nicht verloren gegangen ist, sondern sich in einem privaten Haushalt oder in einem Heimatmuseum befindet. Die historische Geschichte dazu würde ich gerne beitragen.“

Auch ich würde mich freuen, wenn aus unserem Leserkreis Hinweise kämen, aber ich sehe auch die Schwierigkeiten. Bei der zweiten Truhe wäre es denkbar, dass diese noch vorhanden sein könnte. Wenn das Haus Treudankstraße 5 später abgerissen wurde, so ist es möglich, dass sich die schwere Truhe zu diesem Zeitpunkt noch dort befand und an eine andere Stelle transportiert wurde, sich also vielleicht noch in Privatbesitz befindet. Andererseits wurde damals alles verheizt, was nicht niet- und nagelfest war. Allerdings war die Truhe ja aus dem durch das Moor konservierten Eichenholz gearbeitet und dürfte nur schwer brennbar gewesen sein. Die schönste Lösung wäre, wenn der Wert der Truhe rechtzeitig erkannt wurde und sie sich heute in einem Museum oder in einer Antiksammlung befände. Durch die Schwärze des Holzes und die weißen Einlegearbeiten dürfte sie sich von ähnlichen Brauttruhen unterscheiden.

Anders sieht es bei der ersten Brauttruhe aus, an deren Auffindung Herrn Rosocha besonders gelegen ist. Wenn der Pochwalla-Hof in Rudowken bis 1947 noch bewohnbar war, hat er also die Kriegs- und Besatzungswirren überstanden und muss erst später zerstört worden sein. Wahrscheinlich durch einen Brand, da ja kaum noch die Grundmauern zu erkennen sind, was bei einem langsamen Verkommen nicht der Fall gewesen wäre. Falls die beweglichen Gegenstände aus dem Wohnhaus bereits vorher entfernt wurden, könnte die Truhe noch gerettet worden sein. Wahrscheinlichstes ist es aber, dass sie bei einem Großbrand mit vernichtet wurde. Vielleicht können hierüber ehemalige Bewohner aus dem Kreis Sensburg, die in ihrer Heimat auf Spurensuche gingen, etwas berichten. Über jede Antwort, jeden kleinsten Hinweis würde sich der Enkel der letzten Truhenbesitzerin sehr freuen. (Klaus-Jürgen Rosocha, Elsterweg 13 in 50374 Erftstadt-Lechenich, Telefon: 02235/952 682, Fax: 02235/952 683, E-Mail: rosocha@web.de)

PS: Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie sich in unserer Ostpreußischen Familie die Fäden kreuzen. Mit Dr. Walter Schlusnus habe ich am Reichssender Königsberg zusammengearbeitet, seine Frau Irmgard Haushalter leitete Ende der 30er Jahre den Kinderfunk. Auch nach dem Krieg blieben wir in Verbindung. Er machte mir eine große Freude mit einem geretteten Originalmanuskript eines meiner Märchenspiele, das damals gesendet wurde, und mit seinem Buch „Große Ost- und Westpreußen“, das mit 82 Lebensbildern bedeutender Frauen und Männer aus Alt-Preußen noch heute für mich eine wichtige Arbeitsgrundlage ist. Walter Schlusnus verstarb fast 90jährig im November 1994 in Brake.

Eure Ruth Geede


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