20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.11.11 / Spielwiese für den Intellekt / Selbstmord des Dichters von Kleist lädt zu wilden Interpretationen ein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-11 vom 19. November 2011

Spielwiese für den Intellekt
Selbstmord des Dichters von Kleist lädt zu wilden Interpretationen ein

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Fülle der anlässlich von Jahrestagen entstehenden, überarbeiteten oder neu aufgelegten Publikationen immer größere Ausmaße annimmt. Dies gilt auch für eher makabere Jubiläumsanlässe. 200 ist zwar eine schöne runde Zahl, allerdings jährt sich mit dem 21. November nicht nur ein „gewöhnlicher“ Todestag, sondern der Tag, an welchem der gerade 34-jährige Dichter Heinrich von Kleist durch eigene Hand, durch einen Schuss in den Kopf, aus dem Leben geschieden ist. Dass er sich vereinsamt und verlassen fühlte, ist nur ein Ansatzpunkt. Die Deutung seines letzten Lebensjahres und des inszenierten Todes, welchen er gemeinsam mit einer Freundin und Vertrauten suchte, ist für jeden Kleist-Biografen eine literaturhistorisch-psychologisierende Herausforderung, manchem allerdings auch eine morbide Spielwiese für den Intellekt.

Aus der Fülle der Neuerscheinungen zu Heinrich von Kleist, dessen Rang als literarisches Ausnahmetalent wohl kaum jemand infrage stellt, seien zwei von den weniger dickleibigen herausgegriffen: Hans-Jürgen Schmelzer, bis 2000 als Oberstudienrat in Sankt Augustin tätig, gibt seiner Kleist-Biografie den Untertitel „Deutschlands unglücklichster Dichter“. Mit Superlativen sollte man zwar nicht allzu verschwenderisch umgehen, aber Kleists Zerrissenheit und sein (gefühltes) Scheitern, die im frühen Freitod kulminieren, können durchaus als der rote Faden seines Lebens gelten – leider treten bei der Betonung dieser Umstände die Werke etwas in den Hintergrund, auch wenn sich Schmelzer diesen natürlich widmet. Das Buch beginnt mit dem Selbstmord, die Details werden plastisch ausgebreitet. So erfährt man, dass bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung der Schädel Kleists nicht zersägt werden konnte, „nachdem das Sägeblatt bei der Öffnung der ungewöhnlich starken Hirnschale des zuvor obduzierten Dichters in Stücke gesprungen war. Bei diesem war die im Mund angesetzte Ladung Blei ins Gehirn gedrungen.“ Schmelzer erweist sich insgesamt als guter Erzähler, der das Leben des Ausnahmedichters beherrscht und sich auf die großen Linien zu konzentrieren weiß. Verwirrend mag auf den ersten Blick sein, dass die Chronologie nur eine nachgeordnete Rolle spielt. So schließt sich der Darstellung über den Tod zunächst ein Kapitel über Dresden an, wo Kleist zwischen 1807 und 1809 etwa anderthalb Jahre weilte, im Leben des unsteten Dichters eine sehr lange Zeit. Anschließend wird die Novelle „Michael Kohlhaas“ vorgestellt, erst dann kommt Schmelzer zu den Ursprüngen der Familie und zu Kleists Kindheit. Lässt man sich durch derlei Sprünge nicht abschrecken, so ist dieses Werk nicht das schlechteste, um Kleist kennenzulernen.

Etwas schwerer hat es der Laie mit dem kleinen Buch von Hans Joachim Kreutzer, schlicht „Heinrich von Kleist“ überschrieben.  Zweifelsfrei ist der emeritierte Professor einer der besten Kleist-Kenner überhaupt, sein Wirken ist aufs engste mit dem Namen des Dichters verbunden, beispielsweise war er Begründer des Kleist-Jahrbuchs. Eine Einstiegslektüre ist sein Büchlein nicht. Dem Parforceritt durch Kleists Leben vermag man nur schwer zu folgen, sofern die Grundproblematik nicht schon vertraut ist. Auf jeweils wenigen Seiten werden dann Kleists Werke – Dramen und Erzählungen, ergänzt durch die Publizistik – einzeln behandelt. Auch hier überwiegt das Interpretierende, das heißt: Um das Buch mit Gewinn zu lesen, ist eine wenigstens oberflächliche Kenntnis der Kleistschen Werke zwingend erforderlich.   

            Erik Lommatzsch

Hans-Jürgen Schmelzer: „Heinrich von Kleist. Deutschlands unglück­lichster Dichter. Eine Biografie“, Hohenheim Verlag, Stuttgart-Leipzig 2011, gebunden, 254 Seiten, 19,90 Euro; Hans Joachim Kreutzer: „Heinrich von Kleist“, Verlag C. H. Beck, München 2011, 128 Seiten, 8,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren