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26.11.11 / Die »Unaussprechlichen« im Museum / Eine Ausstellung und eine Publikation zur Kulturgeschichte der Unterwäsche – Rückblick auf 200 Jahre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-11 vom 26. November 2011

Die »Unaussprechlichen« im Museum
Eine Ausstellung und eine Publikation zur Kulturgeschichte der Unterwäsche – Rückblick auf 200 Jahre

Jahrhundertelang war sie kein Thema. Schamhaft verschwieg man sie. Heute hat die Unterwäsche sogar ihren Weg ins Museum gefunden.

Darüber spricht man nicht. Peinlichkeiten haben lange verhindert, dass Leibwäsche in die Textilsammlungen der Museen aufgenommen, geschweige denn ausgestellt wurde. Das Altonaer Museum in Hamburg, das sich auch der Lebensart in Norddeutschland widmet, macht mit einer Kabinettausstellung auf das Thema aufmerksam. Arbeitsproben für den Nähunterricht werden zusammen mit Leibchen und Miedern gezeigt, die als Beispiele für verschiedene Modeströmungen und Modediktate dienen. Dass es nicht einfach war, eine solche Sammlung auf die Beine zu stellen, davon erzählt Museumsdirektor Torkild Hinrichsen in dem zur Ausstellung erschienenen Band „Leibhaftig – Doppelripp und Spitzentraum“: „Vor 30 Jahren habe ich unter heftigem Bedenken der damaligen Kollegin die Textilsammelstelle des Roten Kreuzes aufgesucht, wo in einer Baracke auf dem Fußboden wahre Berge an Wäsche der vergangenen Generationen sich häuften und nach Gewicht auch zu erwerben waren, Leinen und Wolle, im letzten Augenblick vor der Fasermühle. Ich glaubte, etwas nachholen zu müssen, denn ein Jahrzehnt zuvor hatte ich auf dem Dachboden meiner Großmutter beim Auswerten des Nachlasses die Kommode, die, wie ich unbefugt wühlend in Knabentagen gesehen, das gesamte Unterzeug meiner Urgroßmutter enthielt, nur noch leer gefunden. Mir das zu vererben und einen intimen Blick in so Persönliches zu erlauben, verboten Anstand und Scham ihrer Generation: Kein Wunder, wenn schon der Name ,Unterhose‘ durch die ,Unaussprechlichen‘ umschrieben werden musste und nicht nur im viktorianischen England das Wort ,Bein‘ ein Unwort war und sogar solche des auf öffentlichen Bühnen thronenden Konzertflügels mit schwarzen Samtstulpen diskret verhüllt wurden.“

Seitdem man das Thema Leibwäsche unverkrampfter sieht, ist auch die Sammlung im Museum gewachsen, oft gespeist aus Nachlässen. In dem Forschungsprojekt „Leibhaftig“ haben sich Dominique Loeding, Andrea Borck und Birgit Staack eingehend mit dem Thema beschäftigt. Ihre Erkenntnisse rund um die „zweite Haut“ für Kinder, Männer und Frauen, die Körpermodellierung und die Frauenhygiene sind denn auch in den Band eingeflossen.

Die Zeiten, da man Leibwäsche nur heimlich waschen und schon gar nicht der Öffentlichkeit auf der Leine zum Trocknen präsentieren durfte, sind längst vorbei. Heute flattern die zarten Dessous der Nachbarin fröhlich im Wind. Die „Unaussprechlichen“ des Gatten allerdings landen wohl im Trockner oder auf der Leine im Keller. „Die Mehrheit kann sich hochwertige Dessous gar nicht leisten“, berichtet Dominique Loeding. „Jenseits der Hochglanzbilder musste schon immer improvisiert werden. Frauenunterwäsche wurde auch aus Stoffresten genäht, abgeändert und bis zur Untragbarkeit ausgebessert.“ Viele dieser aus dem Rahmen fallenden Objekte sind in die Sammlung des Museums aufgenommen worden.

Beim Schmökern in dieser Kulturgeschichte der Unterwäsche sind viele kleine Geschichten am Rand zu entdecken. Wer weiß denn schon, wann – und warum – das

T-Shirt entstand? Cole Shaun schreibt in seiner Geschichte der Herrenunterwäsche (New York 2010), dass ein britischer Marineoffizier seiner Königin, vermutlich Viktoria, den Anblick behaarter Männerachseln ersparen wollte. Auch die hängende Hose, die junge Leute bevorzugen, ist keine Erfindung aus unseren Tagen. Sie wurde in den amerikanischen Ghettos populär, stammt aber ursprünglich aus dem Gefängnis, da den Insassen dort die Gürtel abgenommen wurden, um Selbstmorde zu verhindern.

Das Kapitel mit Aussagen von Zeitzeugen lässt so manche Erinnerungen wach werden. Etwa an das Leibchen, welches das Tragen von langen Strümpfen überhaupt erst ermöglichte. An dem aus stabilem Stoff genähten Leibchen waren Knöpfe befestigt, an die breite Gummibänder geknöpft wurden, die dann wiederum an den langen Strümpfen befestigt wurden. Die bestanden aus meist kratzender Wolle. Kein Wunder, dass man den Frühling herbeisehnte, der das Tragen von Kniestrümpfen wieder erlaubte. Der „Hüfthalter“, der folgte, war auch nicht viel besser. Die Firma Playtex warb schließlich in den 60er Jahren mit dem Spruch: „Mein Hüfthalter bringt mich um“, ein Spruch, der unter Teenagern zum geflügelten Wort wurde. Welch ein Fest, als schließlich die ersten Strumpfhosen auf den Markt kamen.

Bedauernswert erst die Frauen, die ein Korsett tragen mussten. „Meine Großmutter … hat so ’nen Ganzkörperpanzer getragen“, er-innert sich Frau I., Jahrgang 1958. „Ich kann mich an das Gefühl erinnern, wenn ich bei ihr auf dem Schoß gesessen hab, oder wenn ich sie umarmt hab, oder wenn ich irgendwie so gegen sie gedonnert bin – dass man da so richtig abgeprallt ist … meine Mutter hat so was nicht getragen, das war komplett anders. Und ich dachte, es gibt irgendwie mehrere Sorten von Frauen, die, die sich normal anfühlen … und die ganz interessanten!“

Dass es nicht immer einfach war, die richtige Konfektionsgröße zu finden, zeigt die Erinnerung von Maria Riva, die über ihre Mutter Marlene Dietrich schrieb, die Schauspielerin habe jede Marke gekauft „und jedes Modell eines jeden Büstenhalters, der jemals entworfen wurde. Wenn sie meinte, genau den richtigen gefunden zu haben, bestellte sie gleich Dutzende, die dann doch nur in irgendwelchen Kisten endeten, weil auch sie letztlich nicht das gewünschte Resultat erbracht hatten“. Das konnte sich allerdings nur eine Diva leisten … Silke Osman

Torkild Hinrichsen (Hrsg.): „Leibhaftig – Doppelripp und Spitzentraum. Zur Kulturgeschichte der Unterwäsche“, Husum Verlag 2011, 176 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, gebunden 19,95 Euro.


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