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03.12.11 / Der vergessene Crash / 1873 bis 1879: Zahlreiche Parallelen zur Gegenwart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-11 vom 03. Dezember 2011

Der vergessene Crash
1873 bis 1879: Zahlreiche Parallelen zur Gegenwart

Zur Erklärung der derzeitigen wirtschaftlichen Situation wird häufig die Weltwirtschaftskrise von 1929/1931 als Vergleich herangezogen. Aufgrund von Sonderfaktoren als Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges, zum Beispiel die Deutschland aufgenötigten Reparationen, geht der Vergleich häufig fehl. Weitaus mehr Parallelen drängen sich mit einer Krise auf, die heutzutage nahezu vergessen ist: die sogenannte „Lange Depression“, die im Kern von 1873 bis 1879, mit seinen Nachwirkungen aber sogar bis 1896 anhielt.

Die im deutschsprachigen Raum verbreitete Bezeichnung „Gründerkrise“ verstellt ein wenig den Blick darauf, dass es sich dabei um die erste Wirtschaftskrise gehandelt hat, die globale Ausmaße hatte. In Europa wird der Zusammenbruch der Wiener Börse 1873 als Beginn der Krise angesehen. Vorangegangen war nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung der scheinbare Anbruch goldener Zeiten – erst im Deutschen Reich, dann auch in Österreich-Ungarn.

Frappierend sind die Ähnlichkeiten der frühen 1870er Jahre mit denen des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts: Die damalige Gründerzeit mit Bauboom, steigenden Börsenkursen und Unternehmensgründungen erinnert an die Euphorie um Internetfirmen, um das Jahr 2000 und die spätere Spekulationsblase bei US-Immobilien. Dem innovativen Finanzprodukt der Gründerzeit – unreglementierte Pfandbriefe – stehen die US-Subprime-Verbriefungen der Neuzeit gegenüber. Vertraut scheint auch der Ansteckungseffekt aus Übersee: Anleihen der amerikanischen Eisenbahnpioniere überschwemmten damals den europäischen Markt und entpuppten sich bald als wertlose Versprechen.

Geprägt war die damalige Krise durch sinkende Geldmengen und schwindende Erlöse für die Produzenten. Ihre Folgen waren gleich mehrere Staatsbankrotte: 1876 erwischte es das Osmanische Reich, Russland folgte 1885, Portugal 1890 und Griechenland 1893. Während Großbritannien seine bisher unangefochtene wirtschaftliche Führungsrolle an Deutschland verlor, drängten als weitere aufstrebende Macht die USA auf die Bühne. Der Aufstieg gelang mit den Mitteln, die heute von US-Seite China vorgeworfen werden: Schutzzölle sowie Handels- und Niederlassungsbeschränkungen für ausländische Firmen.

Wie wenig die moderne Wirtschaftswissenschaft bisher eine zufriedenstellende Erklärung für die damalige Krise bieten kann, lässt sich an einem Phänomen festmachen, das es laut gängiger Volkswirtschaftslehre nicht gegeben haben dürfte: Trotz Deflation, also sinkender Geldmenge, kam es zu Wirtschaftswachstum. Die Überwindung der Krise könnte allerdings Bestätigung für eine andere Theorie sein: die des russischen Forschers Kondratjiew, der Erfindungen und neuen Technologien einen entscheidenden Beitrag bei der Einleitung von wirtschaftlichen Wachstumsphasen zuschreibt. Die 1890er, in denen die jahrzehntelange Wirtschaftskrise überwunden wurde, waren zugleich die Jahre, in denen, vor allem im Deutschen Reich und den USA, die Grundlagen der Elektrotechnik und der chemischen Industrie gelegt wurden. N.H.


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