25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.12.11 / Nachdenken über Christa W.

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-11 vom 10. Dezember 2011

Nachdenken über Christa W.
von Vera Lengsfeld

Am 1. Dezember erschütterte die Nachricht vom Tod der Schriftstellerin Christa Wolf nicht nur die literarische Welt. In den zahlreichen Nachrufen wird die Berlinerin als eine der bedeutendsten Autorinnen der deutschen Sprache gewürdigt. Sie sei die „moralische Instanz der DDR“ gewesen, eine „sozialistische Humanistin“. Dass sie der DDR immer treu geblieben ist, wird ihr heute noch hoch angerechnet. Für sie sei dieser Staat „das Rauschgift, das sie zum Schreiben brauchte“ gewesen.

Christa Wolfs Beliebtheit beim Feuilleton vor und nach dem Mauerfall hängt eng damit zusammen. Wolf war nur beinahe eine Dissidentin. Ihr Widerspruch gegen das Regime war taktischer Natur. Die DDR sollte nicht nur beanspruchen, das bessere Deutschland zu sein, sie sollte es nach Wolfs Wunsch auch werden. Den Sozialismus als Idee hat sie nie in Frage gestellt, lediglich ihr Leiden an den Unvollkommenheiten seiner realen Existenz inszeniert.

Christa Wolf hat sich mit ihren Mitteln für Dissidenten eingesetzt. Als ich im Jahre 1983 wegen meiner Aktivitäten in der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung, heute Opposition genannt, Berufsverbot bekam, schrieb Christa Wolf an das für Kultur zuständige Politbüromitglied Kurt Hager, um ihn zu bitten, meinen Rausschmiss aus dem Verlag, in dem ich zuletzt gearbeitet hatte, rückgängig zu machen. Als das nichts half und ich begann, als Imkerin meinen Lebensunterhalt zu verdienen, kam sie zu mir, um mir größere Mengen Honig abzukaufen.

Schon beim ersten Besuch bewunderte sie den Pankower Amalienpark so sehr, dass sie beschloss, hier Wohnung zu nehmen. Es dauerte nicht lange, da wurde sie meine Nachbarin. Sie gehörte zu den Privilegierten, für die die normalen Lebensbedingungen in der DDR nicht galten. Nicht nur sie und ihr Mann hatten einen Pass und konnten abends ins Theater nach West-Berlin fahren, sondern auch ihre Tochter und deren Mann. Ihr Schmerz über den Verlust der DDR wird vielleicht verständlicher, wenn man das weiß.

Die große Lebenslüge der Christa Wolf war identisch mit der Lebenslüge der bundesdeutschen Linken. Sie hat sich einem System zur Verfügung gestellt, dessen Anspruch nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte, das für die Unterdrückung von individueller Freiheit und Zerstörung von selbstständigen Lebensentwürfen verantwortlich war.

Wolf hat, wie es Chaim Noll, der die DDR verließ, um schreiben zu können, auf den Punkt brachte, mit ihrem Werk dazu beigetragen, die Wahrheit über das System zu verbergen. Dies ist die Tragik einer Frau, die ihren eigenen Anspruch, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, konterkarierte.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren